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Schluss mit der Umerziehung!

Schluss mit der Umerziehung!

Titel: Schluss mit der Umerziehung!
Autoren: Gisela A. Erler
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damaligen Stellung im öffentlichen Dienst, im Deutschen Jugendinstitut in München. Anreiz für die Unternehmensgründung waren die erhoffte inhaltliche Freiheit und die Möglichkeit, Zeit und Ort meiner Arbeit selbst zu bestimmen. Am Jugendinstitut wurde just in jener Zeit die Stechuhr mit Anwesenheitspflicht der wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eingeführt. Für mich wäre ein solches Stechuhrregiment aufgrund einer komplizierten familiären Lage gar nicht realisierbar gewesen – ich lebte in Bonn mit meinem Partner, die Kinder wohnten bei ihrem Vater in Niederbayern. Ich pendelte und erfüllte meine Berufspflichten an vielen Orten, in der Bahn, im Hotel, auf dem Flughafen und im Büro. Meine Aufgaben als Mutter nahm ich ebenfalls, so gut es ging, wahr, nicht zuletzt half ich den Kindern per Fax bei den Hausaufgaben – es war die Zeit eines ewig schlechten Gewissens, vor E-Mail oder Skype.
    Darüber hinaus verletzte die Logik der Zeiterfassung aber sehr grundsätzlich alles, was ich zum Thema Effizienz und Produktivität von Kopfarbeitern schon damals verstanden hatte. Es ist ein Streit, der bis heute anhält, aber die Tatsache, dass immer mehr Betriebe von der Zeiterfassung zur Vertrauensarbeitszeit übergehen, ist Ausdruck dafür, dass Präsenzzeiten kein aussagekräftiger Indikator für Leistung sind. In unserem Unternehmen arbeiten wir konsequent und sehr erfolgreich mit Vertrauensarbeitszeit für alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter – auch für diejenigen, die in der Verwaltung tätig sind, in unseren Krippen oder als Beraterinnen im Telefondienst.
    Die Entscheidung, ein Unternehmen zu gründen und keinen gemeinnützigen Verein oder eine gemeinnützige GmbH, war für mich praktischer und theoretischer Natur: Ich musste von diesem Projekt leben, musste für mich und meine Söhne materiell sorgen können. Ich musste mich finanziell deswegen eher besserstellen als während meiner Tätigkeit als Wissenschaftlerin im öffentlichen Dienst.
    Für unsere Unternehmenskunden war es sehr wichtig, die Anbieter solcher Dienstleistungen von Anfang an als reguläre Firma wahrzunehmen, das ermöglichte klare Absprachen und Verträge zum Leistungsumfang und der Bezahlung, jenseits der eher willkürlichen Spendenlogik. Es ging auch darum, unsere Arbeit als tatsächlich wertschöpfendes Angebot für das Unternehmen, nicht etwa als sozialen Luxus für gute Zeiten, im Bewusstsein der Entscheidenden zu verankern.
    Für die Mitarbeiterinnen, die ich bald gewann, war unsere private Unternehmensform ebenfalls ein starkes Signal. Viele kamen aus der sozialen Arbeit, verstanden sich primär als Helferinnen für Not leidende Familien. Bei »Klienten« aus sozial problematischen Familien ist für die Sozialarbeit stets der mentale Rückzug auf eine kulturelle Überlegenheit möglich – die institutionelle Autorität im Hintergrund macht es möglich, Dienstleistungen zu verweigern, kritisch oder unfreundlich zu den Kunden zu sein. Nun mussten die Kolleginnen lernen, sich als Dienstleisterinnen auch für Familien mit teilweise sehr hohen Einkommen, Ansprüchen und starker Karriereorientierung zu betrachten und dabei keine negativen Wert urteile über diese Kunden zu fällen, auch wenn die Mütter sehr früh in den Beruf zurückkehrten oder sich für sehr lange tägliche Arbeits zeiten entschieden. Es ging darum, alle Lebensmodelle so zu unterstützen, dass sie für Eltern wie für Kinder geeignet waren.
    Gerade in dieser Umorientierung begannen die Kolleginnen aber auch, ihre Arbeit viel stärker wirtschaftlich zu definieren, sich als Akteurinnen auf dem Feld der Wirtschaft, als selbstbewusste Partnerinnen von großen Unternehmen zu betrachten. Das mag für Frauen mit einem MBA- Abschluss und der Absicht, in einem Großkonzern tätig zu werden, eine Selbstverständlichkeit sein; für unsere Kolleginnen, die teilweise zuvor Hausfrauen und davor Büroangestellte oder Sozialarbeiterinnen gewesen waren, bedeutete dies eine ungeheure Stärkung ihres Selbstbewusstseins in einem Bereich, der bis dato ihren Ehemännern vorbehalten war. Die Botschaft war: Wir sind effektiv, wir behaupten uns in der Welt der Marktwirtschaft, wir sind Geschäftspartnerinnen großer Konzerne! Wir spielen unsere Kosten und auch den nötigen Gewinn ein – zumindest machen wir
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