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Schlechte Gesellschaft

Titel: Schlechte Gesellschaft
Autoren: Katharina Born
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ihn seine »Geheimwaffe« und sprach vom »zielsicheren Talent« seines Assistenten. Er witzelte, Kind würde eines Tages nicht nur Türme bauen, die höher wären als seine, sondern sie würden auch besser aussehen. Wie schön Kind war, dachte Amy. Wenn er nur nicht verheiratet wäre in Europa. Oder wenn er es zumindest nicht allen erzählen würde.
    Â»Wollen Sie nicht nach Hause, jetzt wo alles vorbei ist?«, fragte sie ernst.
    Â»Wo ist das, zu Hause?«
    Wieder musste sie lachen. Sie kannte seinen Humor, den er gekonnt mit etwas Tragik mischte. Das musste es sein, dachte sie, was ihn so anziehend machte. Sein Blick hatte etwas Trauriges, wenn er sie anschaute oder sich plötzlich herumdrehte, als habe er etwas verloren. Er schien ihr so – sie fand nicht gleich das richtige Wort – haltlos.
    Kind schlief mit ihr, schon seit einigen Monaten. Nicht häufig, nur wenn es die Zeit und die Arbeit zuließen, nach Feierabend, wenn alle anderen gegangen waren. Nahm er sie von hinten auf dem großen Kartentisch im Konferenzraum, dann blickte sie dabei aus dem Fenster des 32. Stockwerkes über die ganze Stadt. Sah er ihr dabei in die Augen, dann war es, als suchte er vergeblich nach einer Wärme, die sie ihm zu gerne gegeben hätte.
    Hinterher war er höflich. Das Arbeiten hatte sich im Ganzen kaum verändert. Nur in seltenen Augenblicken erzählte er ihr von seinem früheren Leben. Er sprach von seinem Studium in England, von seiner Tante in Deutschland und von dem kleinen Dorf, wo er die Frau und die Kinder zurückgelassen hatte.
    Er schien kein übermäßiges Interesse an Frauen zu haben. Nie sah Amy ihn den Mädchen hinterherblicken, und er beteiligte sich auch nicht an den Witzeleien der anderen Architekten. Trotzdem riefen ständig junge Damen für ihn an. Amy gefielen keine Männer, denen die Frauen zuliefen. Aber sie mochte Kinds Geschichten. Im Gegensatz zu anderen, erzählte er nicht nur von Baseballspielern, von Filmstars oder Politik. Er sprach davon, was er fühlte, wie er die Dinge sah und erlebte.
    Er kam aus dem Westerwald. Das Wort klang für Amy wie aus einem Märchen, wie »German chocolate cake«. Und genau wie sie das Wort »Westerwald« mochte, so mochte Amy auch den Namen Kind, weil sie wusste, was er bedeutete, und weil sie meinte, er passe zu seiner verlorenen, immer ein wenig verträumten Gestalt. Warum er Deutschland verlassen hatte, um in England zu studieren, brauchte er Amy nicht zu erklären. Dass er Jude war, schien ihr unzweifelhaft bei seiner langen Nase und den dunklen Augen. Der Chef und die meisten der Zeichner und Modellbauer hatten denselben Hintergrund. Niemand sprach darüber.
    Die täglichen Nachrichten vom Krieg wurden im Büro dagegen ausführlich diskutiert. Einige der Mitarbeiter zitterten vor Wut, andere vor Angst, wenn sie von den Luftangriffen, Kesselschlachten und Eroberungen hörten. Als schließlich endlich von den Erfolgen der Alliierten berichtet wurde, kam Freude auf. Nur Kind blieb gelassen, als gehe ihn das alles nichts an.
    Eines Morgens hatte man sich in den Gängen zugeflüstert, dass die Bomben nun rund um Koblenz und die Stahlwerke am Rhein fielen. Alle wussten, dass Hagis Kind dort seine Familie hatte. Aber nur wenig später hörte Amy ihn zum Chef sagen, um seinen Heimatort sei es ohnehin nicht schade. »Ein paar Fachwerkhäuser inmittenvon Wäldern und ein paar Schieferminen, in denen sich die Leute wie Ratten verkriechen«, hatte er verächtlich bemerkt. Und Amy musste an sich halten, um nicht weinend aus dem Büro zu stürzen.
    Mehr als an seiner Familie schien Kind an seiner Tante Martha gehangen zu haben, auf eine seltsame, fast unheimliche Weise. Oft erzählte er von dieser Frau, von ihrer zarten Schönheit, von der Eleganz ihrer Kleider und vom Erfolg ihres Kochbuchs für moderne Frauen. Aber je mehr Amy von Martha hörte, desto weniger wusste sie, ob diese Tante für Kind wie eine Mutter, wie eine Schwester oder doch eher wie eine Geliebte gewesen war.
    Gleich am Abend ihres ersten Kusses war die Rede auf Martha gekommen. »Wie kommen Sie zu Ihrem schönen Namen?«, hatte Amy ihn ein wenig frech gefragt. Sie hatte ja gesehen, dass in Kinds Arbeitspapieren etwas ganz anderes stand. Sie saß auf seinem Schoß und konnte nicht beobachten, wie er auf die Frage reagierte. Doch nach einer kurzen Pause begann
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