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Schlechte Gesellschaft

Titel: Schlechte Gesellschaft
Autoren: Katharina Born
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sei. Martha wehrte ab, und die Frau verschwand. Wir standen einander gegenüber, minutenlang. Aber es war zu spät.«
    Amy sagte nichts. Kinds Erregung hatte auch sie aufgewühlt. Als er sie zu küssen begann, atmete sie heftig. Natürlich hatte seine Geschichte etwas Selbstgefälliges. Vielleicht erzählte er sein Schicksal allen Frauen, weil er wusste, dass er sie damit verliebt in ihn machte. Trotzdem genoss es Amy, von ihm gehalten zu werden. Wie Kind meinte sie, ganz allein auf der Welt zu sein. Und wie er musste sie niemandem Rechenschaft ablegen, außer sich selbst.
Gleis 8 (Februar 1993)
    Während sie sich dem Bahnhof näherten, auf immer dichter befahrenen Straßen, wurde Hella nervös.
    Â»Auf welchem Gleis fährt dein Zug?«
    Â»Ganz vorn. Gleis 8«, sagte Vahlen. »Am besten, ich gehe zu Fuß. Das ist schneller. Ich muss da nur rüber und bin schon da.«
    Er zeigte auf die vierspurige Schnellstraße, auf der die Autos in beiden Richtungen vorüberdonnerten. »Wenn wir erst um all die Einbahnstraßen herumfahren, verpasse ich den Zug.«
    Hella hielt am Straßenrand. Hinter ihnen hupte es.
    Â»Ich will mich nicht mehr aufregen«, sagte er. »Wir besprechen alles. Auch mit Judith. Vielleicht kann sie eine Weile bleiben.«
    Er stieg aus, nahm seine Tasche von der Rückbank, ging um den Wagen herum und küsste sie auf die Wange. Wieder hupte es.
    Vahlen mochte das Gefühl, neu anzufangen. Die Vorstellung, in wenigen Minuten ganz ruhig dazusitzen, während der Zug durch die Landschaft raste, gefiel ihm. Er würde Zeit haben, sich über alles klarzuwerden, würde Pläne machen, eine Strategie finden, mit allem umzugehen.
    Hella war ebenfalls ausgestiegen. Sie lehnte am Wagen und sah ihm hinterher. Als er sich nach ihr umdrehte, rief sie etwas und winkte mit beiden Armen. Er hörte nichts, sah nur den besorgten Ausdruck in ihrem Gesicht. Die frühere Ängstlichkeit in ihren Augen hatte er immer für eine Äußerlichkeit gehalten, eine Täuschung. Längst war sie kühlem Stolz gewichen. Aber die Sorge, um ihn, um Judith, um das Leben an sich, war geblieben. Eine gesunde, zärtliche Sorge. Vahlen verstand nicht, wie er seine Liebe zu dieser Frau je hatte in Frage stellen können, obwohl er wusste, dass auch dieses Gefühl nur kurze Zeit anhalten würde.
    Hella dachte, Vahlen habe noch etwas sagen wollen, aber dann wandte er sich doch ab. Oft hatte seine Großzügigkeit anderen gegenüber beliebig auf sie gewirkt. Aber inzwischen schätzte sie seine Fähigkeit zu verzeihen. Nach der ersten Wut schien er sich sogar aufJudiths Kind zu freuen. Und auch Hella glaubte, dass es schön sein könnte, ihre Tochter in diesem Zustand zu sehen. Judith würde ihrem Körper, den sie, vielleicht aufgrund der Behinderung, immer ignoriert hatte – nie krank, nie verletzt –, zum ersten Mal völlig ausgeliefert sein. Im Grunde ähnelte sie ihrem Vater. Auch ihre Anziehungskraft, die trotz ihrer so offensichtlichen Unbekümmertheit nie vulgär wirkte, musste von Vahlen stammen: Sein Auftreten, dieses scheinbare in sich Ruhen, das andere völlig aus dem Konzept bringen konnte.
    Er drehte sich noch einmal herum, mitten auf der Fahrbahn. Sie winkte, wollte ihm bedeuten, er solle doch erst die Straße überqueren. Er schaute sie fragend an, ein Lächeln, fast töricht in seiner Hilflosigkeit. Vahlen stand das Ernsthafte besser als das Fröhliche. Das war immer so gewesen. Worauf wartete er? Ein Lastwagen dröhnte heran, Vahlen sah sich um, tat einen Schritt nach hinten.
    Sie schrie auf, hörte sich selbst aber nicht schreien, spürte nur das Ziehen in ihrer Kehle. Der Laut wurde übertönt von ohrenbetäubendem Lärm – mehrere Autos prallten aufeinander.
    Die Information über das Unheil schien die Köpfe nur langsam zu erreichen. Noch immer rauschten die Wagen auf ihrer Seite der Fahrbahn vorüber, als ginge es tatsächlich darum, sie von Vahlen zu trennen. Hella konnte nicht sehen, wo er lag, ahnte nur den dunklen Fleck seines Mantels im Gewirr. Erst nach und nach kam alles zum Stillstand.
    Sie lief zwischen den kreuz und quer liegengebliebenen Autos hindurch, dorthin, wo sie Vahlen vermutete.
    Â»Rufen Sie einen Krankenwagen«, hörte sie jemanden schreien.
    Vahlen lag am Rand der Straße auf dem Asphalt, die Beine verdreht, der Kopf merkwürdig
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