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Schlangenkopf

Schlangenkopf

Titel: Schlangenkopf
Autoren: Ulrich Ritzel
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Tankwagen und verkohlten Menschenleibern. Er überfliegt die Zeitung, der Leitartikel handelt vom Streit in der Regierung – ach! was für eine Neuigkeit … Mit der ganzen Inbrunst ihrer Tintenherzen haben sie diese Regierung herbeigeschrieben, und nun ist es ihnen auch wieder nicht recht. Gleichgültig, als erwarte er sich nichts davon, blättert er weiter, immerhin findet er einen Hintergrundbericht über die Tagung am Starnberger See (Überschrift: »Reden über Föhn, Kopfweh und ein bisschen Frieden«) und einen Absatz darin, der ihn betrifft:
    In der anschließenden, sehr gereizten Diskussion über die doch etwas pauschale Behauptung, das gesamte Afghanistan-Abenteuer sei von Korruption durchtränkt, sorgte der Stuttgarter Bundestagsabgeordnete Christian Fausser für zusätzliche Irritation. Die Ausrüstung der Bundeswehr richte sich inzwischen nicht mehr so sehr nach militärischen Anforderungen, sondern nach den Vorgaben und Interessen der Rüstungsindustrie, insbesondere von EuroStrat, wie das Beispiel der für den Hindukusch-Einsatz vorgesehenen Kampfhubschrauber zeige. Auf den Einwand, die Bundeswehr habe in Afghanistan gar keine Kampfhubschrauber im Einsatz, antwortete Fausser nur: »Eben.«
    Fausser nickt kurz. Vielleicht kommt es ja an die richtige Adresse. Er faltet die Zeitung zusammen und steckt sie wieder in die Seitentasche seines Aktenkoffers, den er neben sich auf den Sitz gestellt hat. Für einen Moment lehnt er sich zurück und hält die Augen geschlossen, ihm ist, als sollte er hier einfach sitzen bleiben, zurückgelehnt, schweigend, bis zur Endstation, vielleicht gibt es dort ein Schließfach, er würde den Aktenkoffer darin verstauen und dann durch Kiefernwälder gehen, sich irgendwann in ein Ausflugslokal setzen, einen Kaffee bestellen und einen Kognak dazu, dass man den Kaffee ertragen kann, mit Blick auf eine Waldlichtung, später würden vielleicht Wildschweine auftauchen, von denen es angeblich so viele gibt, und ihm Gesellschaft leisten …
    Er spürt eine Bewegung und blickt auf. Ein Mann, Lederjacke, mit Schafpelzkragen, hat sich auf dem Gang neben ihn geschoben, als wolle er bei der nächsten Station aussteigen, dahinter – mit ein wenig Abstand – ein zweiter Kerl. Mit einer langsamen, bedächtigen und doch nachdrücklichen Bewegung legt Fausser seine linke Hand auf den Aktenkoffer und sucht den Augenkontakt zu den beiden Männern, doch sie vermeiden den Blick. Dann wird der Zug langsamer und hält, und beide steigen aus.
    Auch das ist das Volk, denkt Fausser. Und: Das nächste Mal nehmen wir vielleicht doch die Fahrbereitschaft, die Fahrer machen sich schon längst keinen Kopf mehr darüber, wen sie warum wo abholen müssen.
    Zwei Stationen weiter steigt Fausser aus und geht zu der Rolltreppe, die ihn zu der neuen Linie bringen soll, der Kanzler-U-Bahn, aber kurz vor der Rolltreppe stößt ihm jemand einen schweren abgegriffenen Koffer gegen die Beine. Erschrocken fährt er zurück und macht einen Schritt zur Seite, vor ihm steht eine kleine, dicke, schwarz gekleidete Frau und starrt suchend und empört durch halbkugelförmige Brillengläser um sich, es ist ihm nicht klar, ob sie ihn überhaupt sieht. Außer dem abgegriffenen Koffer schleppt sie eine ausgebeulte Ledertasche und ein zusammengerolltes Plaid mit sich.
    Die Brillengläser haben sich auf Fausser fokussiert. »Können Sie nicht aufpassen? Sehen Sie nicht, was ich alles schleppen muss? Ich muss nämlich zum Busbahnhof, ganz dringend, ein Trauerfall …«
    Fausser hofft, dass sich nicht im Koffer befinden möge, was beerdigt werden muss. Laut sagt er, dass die Dame sich irrt. »Wenn Sie zum Busbahnhof wollen, sind Sie hier falsch. Sie müssen die S-Bahn nehmen.«
    »Oh Gott!«, schreit die Frau und stellt den Koffer ab und greift sich an die Brust, »was mach ich nur! Mein Onkel … gestern Abend kam das Telegramm …«
    »Mein Beileid«, sagt Fausser und sieht sich um, aber nicht einen sieht er, der so aussieht, als würde er für einen Fünfer einen kleinen Gefallen übernehmen. »Ich bring Sie mal eben zum richtigen Bahnsteig, wenn Sie wollen, können Sie mir Ihren Koffer geben …«
    Die Augen hinter den Halbkugeln mustern ihn oder versuchen es vielmehr. »Wenn Sie meinen …!«, kommt schließlich eine Antwort. »Aber geben Sie Acht, dass Sie nirgends damit anstoßen, er ist nicht mehr der Jüngste. Das ist wie mit meinem Onkel, der hat auch keinen Stups mehr ausgehalten, der alte geizige Bock!«
    Als Fausser
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