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Schlangen im Paradies

Schlangen im Paradies

Titel: Schlangen im Paradies
Autoren: Mary Higgins Clark
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wür-de die andere Zeugin von der Verteidigung abgeschmettert. Das heißt, durch Ihre Aussage wird einer der vermögendsten, einflußreichsten Männer dieses Landes für mindestens fünfzehn Jahre ins Gefängnis wandern, und sogar für dreißig, wenn ich Mord zweiten Grades durchkriege. Handelte es sich hier um einen Mafia-Prozeß, hätte ich Sie bis zum Ende des Verfahrens unter falschem Namen und mit Polizeischutz in einem Hotel versteckt. Der Baron von Schreiber und seine Frau mögen ja Freunde von Ihnen sein, aber genauso von Ted Winters, für den sie in New York als Zeugen auftreten werden. Und Sie beab-sichtigen ernstlich, ausgerechnet jetzt dorthin zu reisen?»
    «Ich weiß, daß Min und ihr Mann als Leumundszeugen für Ted aussagen», erwiderte Elizabeth. «Ihrer Meinung nach ist er nicht fähig, einen Mord zu begehen. Ich wäre der gleichen Ansicht, wenn ich ihn nicht mit eigenen Ohren gehört hätte. Die beiden folgen ihrem Gewissen und ich dem meinen. Wir alle handeln so, wie wir müssen.»
    Auf die Tirade, die Murphy nun losließ, war Elizabeth nicht gefaßt. Seine beschwörenden, mitunter sarkastischen Worte dröhnten ihr in den Ohren. «An dieser Einladung ist was faul.
    Das müßten Sie doch selber sehen. Sie behaupten, die Schreibers liebten Ihre Schwester. Dann fragen Sie sich doch gefälligst mal, wieso sie für Leilas Mörder auf die Barrikaden gehen wollen. Ich bestehe darauf, daß Sie sich von den beiden fernhalten, wenn schon nicht um meinetwillen oder in Ihrem eigenen Interesse, dann deshalb, weil Sie Gerechtigkeit für Leila verlangen!»
    Es verwirrte Elizabeth, daß er sie so offensichtlich wegen ihrer Naivität verachtete, und sie erklärte sich schließlich bereit, die Reise abzublasen. Sie versprach, statt dessen nach Easthampton zu fahren, dort entweder Freunde zu besuchen oder sich in einem Hotel einzuquartieren.
    «Ob Sie allein oder in Gesellschaft sind, seien Sie jedenfalls vorsichtig», schärfte Murphy ihr ein. Nachdem er seinen Willen durchgesetzt hatte, quälte er sich ein Lächeln ab, das jedoch sofort erstarrte, und seine Augen blickten finster und zugleich besorgt. «Vergessen Sie eins nicht – ohne Ihre Aussage bleibt Ted Winters auf freiem Fuß.»

    Trotz der drückenden Schwüle beschloß Elizabeth, zu Fuß nach Hause zu gehen. Sie kam sich vor wie ein Punchingball, den eine Serie von wohlgezielten Schlägen rastlos hin- und herflie-gen ließ. Natürlich hatte der Staatsanwalt recht. Sie hätte Mins Einladung ablehnen sollen. Sie würde sich in Easthampton bei niemandem melden, sondern lieber in ein Hotel gehen und die nächsten paar Tage nur müßig am Strand liegen.
    Leila hatte immer gewitzelt: «Auf die Couch zwecks Seelen-massage wirst du nie müssen, Spatz. Dich braucht man nur in einen Bikini zu stecken und ins Meer zu tauchen, und schon bist du wunschlos glücklich.» Das stimmte. Sie erinnerte sich, mit welcher Begeisterung sie Leila die Preise gezeigt hatte, die sie beim Wettschwimmen gewonnen hatte. Vor acht Jahren hatte sie für die Olympiamannschaft einen zweiten Platz belegt. Und in Cypress Point Spa hatte sie vier Sommer lang Kurse für Unterwasseraerobic geleitet.
    Unterwegs besorgte sie etwas zu essen – nur das Nötigste, um sich abends einen Salat und morgens rasch ein Frühstück zu machen. Als sie die letzten beiden Häuserblocks passierte, dachte sie, wie fern doch alles gerückt war. Ihr ganzes Leben vor Leilas Tod erschien ihr wie die unscharfen, vergilbten Fotos im Familienalbum.
    Auf dem Tisch in der Eßecke lag die Post, obenauf Sammys Brief. Wieder mußte Elizabeth beim Anblick der gestochenen Handschrift lächeln. Sie sah Sammy deutlich vor sich – die zerbrechliche Gestalt, die irgendwie an einen Vogel erinnerte; die klugen Augen, eulenhaft hinter der randlosen Brille; die spitzen-besetzten Blusen und die soliden Strickjacken. Vor zehn Jahren hatte sich Sammy auf Leilas Anzeige um die Stelle einer Halb-tags-Sekretärin beworben und sich binnen einer Woche unentbehrlich gemacht. Nach Leilas Tod hatte Min sie als Empfangsdame und Sekretärin für das Kurzentrum engagiert.
    Elizabeth beschloß, den Brief nach dem Abendessen zu lesen.
    In ein paar Minuten hatte sie einen leichten Kaftan übergezogen, den Salat angemacht und sich ein Glas eisgekühlten Chablis eingeschenkt. Okay, Sammy, jetzt können wir uns in Ruhe unterhalten, dachte sie, als sie den Brief öffnete.
    Die erste Seite enthielt das Übliche.

    Liebe Elizabeth!
    Ich hoffe, Sie sind
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