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Schlaflos - Insomnia

Titel: Schlaflos - Insomnia
Autoren: Stephen King
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aufsässig zu klingen. Er sah den Blick in Ed Deepneaus Augen und wich weitere zwei Schritte zur Seite aus.
    »Mich nicht, ihn schon«, sagte Ralph und nickte mit dem Kinn in Eds Richtung. »Helfen Sie mir einfach, ihn zu beruhigen, okay?«
    »Sie kennen ihn?«
    »Mörder!«, wiederholte Ed, und diesmal schnellte er so ruckartig unter Ralphs Händen durch, dass dieser einen Schritt zurückwich. Aber es tat sich was, oder nicht? Ralph fand, dass der Furcht einflößende, leere Blick aus Eds Augen allmählich verschwand. Es schien ein bisschen mehr Ed in ihnen zu sein als vorher … vielleicht war das aber auch nur Wunschdenken. »Mörder, Baby mörder!«

    »Herrgott, was für ein Irrenzirkus«, sagte der Schwergewichtige, aber er ging zum hinteren Ende der Ladefläche, zog eine der Schnüre heraus und klappte eine Ecke der Plane zurück. Darunter lagen vier Pressspanfässer mit der Aufschrift des Unkraut-Ex WEED-GO. »Organischer Dünger«, sagte der Schwergewichtige und sah von Ed zu Ralph und wieder zu Ed. Er berührte den Schirm seiner West-Side-Gardeners-Mütze. »Ich habe den ganzen Tag an neuen Blumenbeeten vor der Derry Psych gearbeitet … wo Sie auch mal einen Urlaub vertragen könnten, mein Freund.«
    »Dünger?«, fragte Ed. Er schien zu sich selbst zu sprechen. Er griff sich mit der linken Hand langsam an die Schläfe und fing an zu reiben. »Dünger?« Er hörte sich wie ein Mann an, der eine simple, aber bahnbrechende wissenschaftliche Entdeckung infrage stellt.
    »Dünger«, stimmte der Schwergewichtige zu. Er sah Ralph wieder an und sagte: »Der Typ ist krank im Kopf. Wissen Sie das?«
    »Er ist verwirrt, das ist alles«, antwortete Ralph unbehaglich. Er lehnte sich über die Seite des Lasters und klopfte auf ein Fass. Dann drehte er sich zu Ed um. »Fässer mit Dünger«, sagte er. »Okay?«
    Keine Antwort. Ed hob die rechte Hand und rieb sich die andere Schläfe. Er sah aus wie ein Mann, der eine schreckliche Migräne bekommt.
    »Okay?«, wiederholte Ralph sanft.
    Ed schloss einen Moment die Augen, und als er sie wieder aufschlug, bemerkte Ralph einen Glanz darin, den er für Tränen hielt. Ed streckte die Zunge heraus und leckte sich zaghaft zuerst den einen Mundwinkel, dann den anderen.
Dann nahm er ein Ende seines Seidenschals und wischte sich damit über die Stirn. Dadurch sah Ralph, dass mehrere chinesische Schriftzeichen in Rot darin eingestickt waren, direkt am Saum.
    »Ich glaube, womöglich …«, begann er, aber dann verstummte er. Seine Augen wurden wieder groß und nahmen den Ausdruck an, der Ralph nicht gefiel. »Babys!«, krächzte er. »Habt ihr mich verstanden? Babys!«
    Ralph schubste ihn zum dritten oder vierten Mal gegen das Auto - er hatte den Überblick verloren. »Wovon redest du, Ed?« Plötzlich kam ihm ein Gedanke. »Ist es wegen Natalie? Machst du dir Sorgen wegen Natalie?«
    Ein verhaltenes, listiges Lächeln spielte um Eds Lippen. Er sah an Ralph und dem Schwergewichtigen vorbei. »Dünger, hm? Nun, wenn es weiter nichts ist, macht es Ihnen sicher nichts aus, eins aufzumachen, oder?«
    Der Schwergewichtige sah Ralph unbehaglich an. »Der Mann braucht einen Arzt«, sagte er.
    »Schon möglich. Aber er hatte sich schon etwas beruhigt, dachte ich … Könnten Sie eines der Fässer öffnen? Dann würde es ihm vielleicht besser gehen.«
    »Na klar, warum auch nicht. Wenn schon, denn schon.«
    Wieder zuckte ein Blitz, wieder ertönte ein heftiger Donnerschlag - diesmal schien er über den ganzen Himmel zu rollen -, und ein kalter, dicker Regentropfen fiel auf Ralphs verschwitzten Nacken. Er schaute nach links und sah Dorrance Marstellar am Eingang des Picknickplatzes stehen, der sie, Buch in der Hand, alle drei besorgt beobachtete.
    »Sieht so aus, als würde es gleich Bindfäden regnen«, sagte der Schwergewichtige, »und ich darf das Zeug nicht
nass werden lassen. Das löst eine chemische Reaktion aus. Also sehen Sie schnell rein.« Er tastete einen Moment zwischen der Seitenwand und einem der Fässer, dann brachte er eine Brechstange zum Vorschein. »Ich muss so verrückt sein wie er, dass ich mich darauf einlasse«, sagte er zu Ralph. »Ich meine, schließlich war ich nur auf dem Weg nach Hause und hab mich um meine Angelegenheiten gekümmert. Er hat mich gerammt.«
    »Machen Sie’s auf«, sagte Ralph. »Es dauert ja nur einen Augenblick.«
    »Klar«, entgegnete der Schwergewichtige verdrossen, drehte sich um und schob die Brechstange unter den Deckel des ersten Fasses,
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