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Schlaflos - Insomnia

Titel: Schlaflos - Insomnia
Autoren: Stephen King
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Ralph. Er setzte sich ohne es zu merken wieder in Bewegung. »Das kann er nicht sein.«
    Ed war Chemiker in den Hawking Forschungslabors in Fresh Harbor, einer der freundlichsten, höflichsten jungen Männer, die Ralph jemals kennengelernt hatte. Er und Carolyn mochten beide auch Eds Frau Helen und deren neugeborenes Baby Natalie sehr. Ein Besuch von Natalie gehörte zu den wenigen Dingen, die noch imstande waren, Carolyn ihre Lage vergessen zu lassen, und da Helen das spürte, kam sie häufig mit ihr vorbei. Ed beschwerte sich nie. Ralph wusste, es gab Männer, die es nicht gern gesehen hätten, wenn die Missus jedes Mal, wenn das Baby etwas Neues und Entzückendes machte, zu den alten Leuten in der Straße lief, besonders wenn die Großmama-Figur in dem Bild krank war. Ralph vermutete, dass Ed niemanden
zum Teufel wünschen könnte, ohne deshalb eine schlaflose Nacht zu haben, aber …
    »Du dreckiges Hurenstück! Beweg deinen verschissenen Arsch, hast du gehört? Arschficker! Fotzenhammer!«
    Aber er hörte sich auf jeden Fall wie Ed an. Selbst aus zwei- bis dreihundert Schritten Entfernung hörte er sich so an.
    Jetzt ließ der Fahrer des Datsuns den Motor aufheulen wie ein Halbstarker in einem hochgetunten Muscle-Car, der an der Ampel auf das grüne Licht wartet. Abgaswolken knallten wie Fürze aus dem Auspuff. Kaum war das Tor so weit aufgegangen, dass der Datsun passieren konnte, schnellte dieser nach vorn, schoss mit röhrendem Motor durch die Öffnung, und dabei konnte Ralph den Fahrer deutlich sehen. Er war jetzt so nahe, dass kein Zweifel mehr bestehen konnte; es handelte sich tatsächlich um Ed.
    Der Datsun holperte die kurze, ungeteerte Strecke zwischen dem Tor und der Harris Street Extension entlang. Plötzlich ertönte eine Hupe, und Ralph sah einen blauen Ford Ranger, der auf der Extension nach Westen fuhr und seitlich ausscheren musste, um dem heranbrausenden Datsun auszuweichen. Der Fahrer des Pick-ups sah die Gefahr zu spät, und Ed sah sie offenbar überhaupt nicht (erst später überlegte sich Ralph, dass Ed den Ranger möglicherweise absichtlich gerammt haben könnte). Die Reifen quietschten kurz auf, dann folgte der hohle Knall, den die Stoßstange des Datsun verursachte, als sie die Seite des Ford rammte. Der Pick-up wurde halb über die gelbe Linie geschoben. Die Haube des Datsuns wurde zusammengedrückt, dann sprang sie auf und schnellte ein
wenig hoch; Scheinwerferglas rieselte auf die Straße. Einen Augenblick später standen beide Fahrzeuge reglos mitten auf der Straße, ineinander verkeilt wie eine seltsame Skulptur.
    Ralph blieb vorerst stehen, wo er war, und sah zu, wie sich ein Ölfleck unter dem vorderen Ende des Datsuns bildete. Er hatte einige Verkehrsunfälle in seinen fast siebzig Jahren gesehen - meistens Blechschäden, einer oder zwei ernst -, und es verblüffte ihn immer wieder, wie schnell sie passierten und wie wenig dramatisch sie abliefen. Es war nicht wie in einem Film, wo die Kamera alles in Zeitlupe zeigen konnte, und nicht wie eine Videokassette, wo man sich immer wieder ansehen konnte, wie das Auto über die Klippe stürzte, wenn man wollte; normalerweise sah man nur eine Reihe aufeinander zurasender Schlieren, gefolgt von der raschen und tonlosen Abfolge von Geräuschen: quietschende Reifen, der hohle Knall von Metall, das auf Metall prallt, das Klirren von Glas. Dann, voilà - tout fini .
    Es gab sogar eine Art Verhaltensmaßregel für so eine Situation: wie Sie sich bei Zusammenstößen mit geringer Geschwindigkeit verhalten sollten. Selbstverständlich gab es so was, überlegte Ralph. Wahrscheinlich fanden jeden Tag ein Dutzend kleinerer Zusammenstöße in Derry statt, im Winter wahrscheinlich doppelt so viel, wenn es schneite und die Straßen glatt wurden. Man stieg aus, man traf sein Gegenüber an der Stelle, wo die beiden Fahrzeuge zusammengeprallt waren (und wo sie in den meisten Fällen noch ineinander verhakt waren), man sah sich den Schaden an, man schüttelte den Kopf. Manchmal - tatsächlich sogar ziemlich häufig - wurde diese Phase der Begegnung von wütenden Worten begleitet: Schuldzuweisungen
wurden ausgesprochen (häufig unbedacht), Fahrkünste in Zweifel gezogen, rechtliche Schritte angedroht. Ralph vermutete, was die Fahrer wirklich sagen wollten, ohne es unumwunden auszusprechen, war: Hör zu, du Idiot, du hast mir einen Mordsschrecken eingejagt!
    Der letzte Schritt dieses unglücklichen kleinen Tanzes war der Austausch der geheiligten
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