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Schlaflos in Tofuwuerstchen

Schlaflos in Tofuwuerstchen

Titel: Schlaflos in Tofuwuerstchen
Autoren: Nancy Salchow
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Türklingel reißt mich aus dem Selbstmitleid. Ich hasse unangekündigten Besuch. Ich laufe zum Badezimmerspiegel, um meine Öffentlichkeitstauglichkeit zu testen. Negativ. So kann ich auf keinen Fall die Tür öffnen. Mein Eyeliner befindet sich überall im Gesicht, nur nicht dort, wo er hingehört. An meinem Kinn prangt ein hässlicher roter Fleck und das Shirt, das ich trage, hat auch schon bessere Tage gesehen.
    Ich schaue auf die Uhr. Kurz nach Acht. Bei einem kalten Schwung Wasser, den ich mir ins Gesicht werfe, fälle ich die Entscheidung, doch zur Tür zu gehen. Ich werde einfach sagen, dass ich krank bin, wenn mich jemand auf mein Aussehen anspricht. Generell ist das eine gute Antwort, selbst wenn derjenige gar nichts sagt. Schließlich besitzt nicht jeder die Taktlosigkeit, einem zu sagen, dass man scheiße aussieht. Ich öffne die Tür.
     
    "Clara?" Vor mir steht der Mensch, den ich am wenigsten erwartet hätte. "Was machst du hier?"
    Ihr Gesicht ist ausdruckslos, als sie mir den Kellerschlüssel vor die Nase hält. "Ich hab deinen Schlüssel. Ich dachte, du hättest ihn gerne."
    "Ich dachte, Peter wollte sich melden. Hat er dich etwa hergeschickt, um mir den Schlüssel zu bringen?" Für einen kurzen Moment wundere ich mich über seinen mangelnden Anstand, nicht nur mir, sondern auch Clara gegenüber. So eine Sache klärt man selbst und schickt keine Frau als Überbringer, schon gar nicht die aktuelle Freundin zur verflossenen.
    "Nein, das war meine Idee. Ich…" Sie beginnt zu stammeln. Ihre Unterlippe zittert. "Ich dachte nur, es wäre eine gute Idee, wenn ich gleich selbst…" Sie bricht ab und hält sich die Hände wie ein vom Rad gestürztes Kind vors Gesicht.
    "Was ist denn los?", frage ich irritiert.
    "Ich weiß, du kennst mich nicht. Und sicher bin ich die letzte, die du sehen willst." Sie jappst nach Luft, während sie in ein zerfleddertes Papiertaschentuch schnäuzt. "Aber es gibt einfach niemanden, mit dem ich sonst reden könnte. Meine Schwester ist im Wellness-Urlaub und alle meine Freundinnen sind in Hamburg geblieben, als ich für das Praktikum hergezogen bin. Peter und ich, wir hatten einen furchtbaren Streit."
    Ich frage mich, ob sich dieses Szenario tatsächlich gerade abspielt. Noch dazu vor meiner Haustür. Wäre die Wohnung seiner Exfreundin nicht der letzte Ort auf der Welt, an den ich kommen würde, wenn ich Streit mit meinem Freund habe?
    "Ich verstehe nicht." Die Situation überfordert mich.
    Noch bevor ich etwas weiteres sagen kann, geht sie heulend an mir vorbei in die Wohnung, scheinbar nicht gewillt, sich in diesem Zustand länger draußen aufzuhalten. Ungläubig bleibe ich im Türrahmen stehen und starre einen kurzen Moment in die anbrechende Nacht hinaus. Das ist nicht wahr. Diese Frau sitzt nicht heulend in meiner Wohnung. Das muss ein Traum sein. Doch als ich mich umdrehe, sehe ich sie bereits auf meinem Sofa sitzen. Hat sie sich Peter auch auf diese Weise gekrallt? Ist sie einfach in sein Büro gestürmt, weinend, weil ihr das Tipp-Ex ausgelaufen ist, dass er gar nicht anders konnte, als sich in sie zu verlieben, das schutzbedürftige Reh mit dem Unschuldsblick?
    Ich nehme einen weiteren tiefen Atemzug, bevor ich die Tür von innen schließe. Das kann nur ein Scherz sein. Ein grausamer Scherz.
     
    Ihre Art zu weinen hat wenig mit meiner zu tun. Während ich mich für gewöhnlich leise wimmernd in die hinterste Ecke verkrieche, heult sie ihre Traurigkeit geradezu theatralisch heraus, auch und gerade vor Publikum. Dennoch haben unsere Tränenausbrüche eines gemeinsam: Die Ursache. Peter. Ob er weiß, dass sie hier ist?
    "Nimm es mir bitte nicht übel, aber ich hab noch immer nicht so ganz verstanden, warum du hier bist."
    "Ich hab doch schon gesagt, dass ich zu niemandem kann. Meine Schwester ist im…"
    "Ja, ja, der Wellness-Urlaub", unterbreche ich sie, "Ich weiß. Aber warum ich? Wir kennen uns im Grunde überhaupt nicht. Und wenn du Streit mit Peter hattest, wäre ich doch sicher die letzte, die dir helfen könnte." Ich unterdrücke den Zusatz und die letzte, die dir helfen wollte .
    "Na ja, im Grunde ging es in unserem Streit um dich. Vielleicht habe ich dadurch das Gefühl, dich besser zu kennen als du mich." Sie schnäuzt in ihr Taschentuch. "Und vielleicht bin ich auch deshalb hier."
    Ich horche auf. Ein Streit? Wegen mir? In meinem Kopf tauchen Bilder von einem reumütigen Peter auf, der mit einem Foto von mir im Badezimmer steht, sich heimlich fragt, ob es
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