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Schlachthof 5

Schlachthof 5

Titel: Schlachthof 5
Autoren: Kurt Vonnegut
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glücklichen Augenblicke seines Lebens konzentrieren und die unglücklichen unbeachtet lassen — er sollte nur auf hübsche Dinge schauen, während es der Ewigkeit mißlang, zu vergehen. Wäre eine solche Wahl für Billy möglich gewesen, dann hätte er vielleicht sein sonnendurchtränktes Nickerchen hinten im Wagen als seinen glücklichsten Augenblick gewählt.
     
    Billy Pilgrim war bewaffnet, als er sein Schläfchen machte. Es war das erste Mal, daß er seit seiner Grundausbildung bewaffnet war. Seine Kameraden hatten darauf bestanden, daß auch er eine Waffe trug, denn was für Arten von Mordgesellen mochten in den Erdlöchern der Mondoberfläche ihr Unwesen treiben — wilde Hunde, von Leichen fett gewordene Rattenscharen, entflohene Geisteskranke und andere, die das Leben bedrohten, Soldaten, die nie aufhören würden zu töten, bis sie selbst getötet wurden.
    Billy hatte eine riesige Kavalleriepistole in seinem Gürtel. Sie war ein Überbleibsel vom ersten Weltkrieg. Sie hatte einen Ring in ihrem Kolben und war mit Kugeln von der Größe von Rotkehlcheneiern geladen. Billy hatte sie im Nachttisch eines Hauses gefunden. Das war eines von den Dingen gegen Kriegsende: Einfach jedermann, der eine Waffe haben wollte, konnte eine haben. Sie lagen überall herum. Billy hatte auch einen Dolch. Es war ein Luftwaffenehrendolch. Auf seinen Griff war ein schreiender Adler geprägt. Der Adler trug ein Hakenkreuz und blickte nach unten. Billy fand den Dolch m einem Telegrafenmast steckend. Er hatte ihn aus dem Mast herausgezogen, als der Wagen vorbeifuhr.
     
    Jetzt wurde sein Schlummer oberflächlicher, als er einen Mann und eine Frau in mitleidigem Tonfall deutsch sprechen hörte. Die Sprechenden drückten jemandem gefühlvoll ihre Teilnahme aus. Bevor Billy die Augen aufschlug, schien es ihm, als hätten es die Töne sein können, die von den Freunden Jesu angeschlagen wurden, als sie seinen zerstörten Leib vom Kreuz abnahmen. So geht das.
     
    Billy schlug die Augen auf. Ein Mann und eine Frau mittleren Alters summten gefühlvoll den Pferden etwas vor. Sie hatten etwas bemerkt, was den Amerikanern entgangen war — nämlich, daß die Mäuler der Pferde bluteten, wund durch die Zäume waren, daß die Hufe der Pferde geborsten waren, so daß jeder Schritt eine Qual bedeutete, daß die Pferde wahnsinnig waren vor Durst. Die Amerikaner hatten ihr Transportmittel so behandelt, als sei es nicht empfindlicher als ein Sechszylinder-Chevrolet.
    Die beiden Pferdebemitleider gingen den Wagen entlang nach hinten, wo sie in herablassendem Vorwürf Billy in Augenschein nehmen konnten — Billy Pilgrim, der so groß, so schwach und so lächerlich in seiner himmelblauen Toga und den silbernen Schuhen war. Sie hatten keine Angst vor ihm. Sie hatten vor nichts Angst. Sie waren Ärzte, beide Geburtshelfer.  Sie hatten geholfen, Kinder zur Welt zu bringen, bis die Kliniken verbrannt waren. Nun nahmen sie unweit von der Stelle, wo einmal ihre Wohnung gewesen war, ihre Mahlzeit im Freien ein.
    Die Frau war von weicher Schönheit, von der langen Kartoffelesserei durchsichtig. Der Mann trug einen Straßenanzug mit Krawatte und allem Drum und Dran. Die Kartoffeln hatten ihn hager gemacht.  Er war so groß wie Billy, trug trifokale Augengläser mit Stahlrändern. Dieses so sehr mit Babys beschäftigte Paar hatte sich nie fortgepflanzt, obwohl es das auch gekonnt hätte. Das war eine interessante Stellungnahme zu dem ganzen Fortpflanzungsgedanken.
    Sie konnten sich in neun Sprachen unterhalten. Bei Billy Pilgrim versuchten sie es zuerst mit Polnisch, da er so clownhaft gekleidet war und weil die unglücklichen Polen die unfreiwilligen Clowns des zweiten Weltkriegs waren.
     
    Billy fragte sie auf englisch, was sie wollten, und sie schalten ihn sofort auf englisch aus wegen des Zustands der Pferde. Billy mußte vom Wagen heruntersteigen und sich die Pferde ansehen. Als er den traurigen Zustand seines Beförderungsmittels sah, brach er in Tränen aus. Er hatte über nichts anderes im Krieg geweint.

    Später, als ein Optiker in mittleren Jahren, pflegte er manchmal still und heimlich zu weinen, gab aber nie laute Hu!-Hu!-Geräusche von sich.
    Darum ist das Motto dieses Buches der Vierzeiler aus dem bekannten Weihnachtslied. Billy weinte sehr selten, obwohl er oft Dinge sah, bei denen es sich gelohnt hätte, über sie zu weinen. Und wenigstens in dieser Hinsicht ähnelte er dem Christuskind des Liedes:
    Das Rind muht,
    Das Kind erwacht,
    Aber
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