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Schlachthof 5

Schlachthof 5

Titel: Schlachthof 5
Autoren: Kurt Vonnegut
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Ohren die Worte als eine Fremdsprache abtun, die zu erlernen sich nicht lohnte. »Was sagte er? « erkundigte sich Rumfoord.
    Lily mußte als Dolmetscherin dienen. »Er sagte, er sei dort gewesen « , erklärte sie.
    »Er sei wo gewesen? «
    »Ich weiß nicht « , sagte Lily. »Wo waren Sie? «
    fragte sie Billy.
    »In Dresden « , sagte Billy.
    »Dresden « , sagte Lily zu Rumfoord.
    »Er spricht einfach Dinge, die wir sagen, nach « , meinte Rumfoord.
    »Ach « , sagte Lily.
    »Er hat jetzt eine Echolalie. «
    »Ach. «

    Echolalie ist eine Geisteskrankheit, die Leute sofort Dinge nachsprechen läßt, die gesunde Menschen ihrer Umgebung sagen. Aber Billy hatte sie nicht wirklich. Rumfoord bestand lediglich zu seiner eigenen Bequemlichkeit darauf, daß Billy daran litt.
    Rumfoord dachte in einer militärischen Art: daß ein störender Mensch, dessen Tod man aus praktischen Gründen sehr wünschte, an einer abstoßenden Krankheit litt.
    Rumfoord beharrte mehrere Stunden lang darauf, daß Billy Echolalie hatte — er sagte den Pflegerinnen und einem Arzt, daß Billy jetzt eine Echolalie habe.
    Einige Versuche wurden mit Billy angestellt. Ärzte und Pflegerinnen versuchten, Billy dahin zu bringen, etwas nachzuplappern, aber Billy wollte keinen Laut für sie von sich geben.
    »Er tut es jetzt nicht « , sagte Rumfoord ärgerlich.
    »Sobald Sie weggehen, wird er es wieder tun. «
    Niemand nahm Rumfoords Diagnose ernst. Der ganze Mitarbeiterstab hielt Rumfoord für einen ekelhaften, eingebildeten und grausamen alten Mann. Er versicherte ihnen oft, daß Leute, die schwach waren, nichts Besseres verdienten, als zu sterben. Während das Krankenhauspersonal natürlich von dem Gedanken beseelt war, daß schwachen Menschen soviel wie möglich geholfen werde und daß niemand sterben sollte.
     
    Dort im Krankenhaus hatte Billy ein Abenteuer, das in Kriegszeiten unter Menschen ohne Machtbefugnis nichts Besonderes an sich hatte: Er versuchte, einem halsstarrig tauben und blinden Feind zu beweisen, daß er interessant anzuhören und anzusehen war.
    Er blieb stumm, bis abends die Lichter erloschen, und dann, wenn eine lange Zeit der Stille eingetreten war, in der es nichts nachzusprechen gab, sagte er zu Rumfoord: »Ich war in Dresden, als es bombardiert wurde. Ich war Kriegsgefangener. «
    Rumford seufzte ungeduldig.
    »Auf Ehrenwort « , sagte Billy. »Glauben Sie mir? «
    »Müssen wir jetzt darüber reden? « sagte Rumfoord. Er hatte es gehört. Glaubte es aber nicht.
    »Wir brauchen nie Darüber zu reden « , versetzte Billy. »Ich will nur, daß Sie wissen: ich war dort. «

    An diesem Abend wurde nicht mehr über Dresden gesprochen, und Billy schloß die Augen, reiste in der Zeit zu einem Mainachmittag, zwei Tage nach Ende des zweiten Weltkrieges in Europa. Billy und fünf andere amerikanische Gefangene fuhren in einem sargförmigen grünen Wagen, den sie verlassen, völlig intakt mit zwei Pferden in einer Vorstadt von Dresden gefunden hatten. Jetzt wurden sie von den trapp, trapp trabenden Pferden durch schmale Gassen gezogen, die durch die mondartigen Trümmer freigelegt worden waren. Sie fuhren zum Schlachthof zurück, um sich Kriegsandenken zu holen. Billy wurde an die Geräusche von Milchkarrenpferden früh am Morgen in Ilium, als er noch ein Junge war, erinnert.
    Billy saß hinten in dem rüttelnden Sarg. Sein Kopf war zurückgelegt, und seine Nasenflügel blähten sich. Er war glücklich. Ihm war angenehm warm. In dem Wagen gab es Essen und Wein, eine Kamera, eine Briefmarkensammlung, eine ausgestopfte Eule und eine Kaminsimsuhr, die durch den Wechsel des barometrischen Drucks in Gang gesetzt wurde. Die Amerikaner waren in die leeren Vorstadthäuser gegangen, wo sie eingesperrt gewesen waren, und hatten diese und viele andere Dinge mitgenommen.
    Die Besitzer waren geflohen, als sie hörten, daß sich die Russen mordend, raubend, vergewaltigend und brandstiftend näherten.
    Aber die Russen waren, sogar zwei Tage nach dem Krieg, noch nicht angekommen. Es war friedvoll in den Trümmern. Billy sah nur einen einzigen anderen Menschen auf dem Weg zum Schlachthof. Es war ein alter Mann, der einen Kinderwagen schob. In dem Kinderwagen waren Töpfe und Tassen, ein Schirmgestell und andere Dinge, die er gefunden hatte.

    Billy blieb im Wagen sitzen, als sie vor dem Schlachthof vorfuhren, und sonnte sich. Die anderen gingen, um Andenken zu suchen. Später im Leben rieten die Tralfamadorianer Billy, er solle sich auf die
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