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Schizophrenie ist scheiße, Mama!: Vom Leben mit meiner psychisch erkrankten Tochter (German Edition)

Schizophrenie ist scheiße, Mama!: Vom Leben mit meiner psychisch erkrankten Tochter (German Edition)

Titel: Schizophrenie ist scheiße, Mama!: Vom Leben mit meiner psychisch erkrankten Tochter (German Edition)
Autoren: Janine Berg-Peer
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Experten aus Erfahrung bezeichnet werden. Wir sind es aber! Keiner weiß besser als Angehörige, die jahrelang loyal zu ihrem erkrankten Familienmitglied stehen, wie man beruhigt, überzeugt, vermittelt oder auch einfach dazu beiträgt, dass die alltäglichen Ängste und Aufregungen der Kranken gemildert werden. Sicher hat nicht jede(r) von uns die richtige Strategie, aber wer hat das schon? Zu wirklichem Expertentum, bei psychisch Kranken und bei Angehörigen, gehören natürlich nicht nur persönliche Betroffenheit und Erfahrung, sondern auch Wissen. Alle Seiten sollten sich davor hüten, ihre subjektiven Erfahrungen auf alle anderen Menschen und Situationen übertragen zu wollen. Aber unsere Erfahrungen und die von uns entwickelten Strategien im Umgang mit unseren Kindern oder Partnern sollten in therapeutische Überlegungen und die wissenschaftliche Diskussion ebenso einbezogen werden wie die Erfahrungen und Meinungen der Betroffenen.
    Wir können Kinder, die an Schizophrenie leiden, nicht permanent beschützen. Es ist sehr schwer auszuhalten, wenn sie Pläne machen, die wir für unrealistisch halten und von denen wir glauben, dass sie einen Rückfall auslösen könnten. Aber wir müssen es aushalten. Es hat lange gedauert, aber ich habe verstanden, dass es nicht um meine Ängste geht, sondern um das Leben eines Menschen, der in seinen Möglichkeiten ohnehin schon eingeschränkt ist. Ich wünsche mir für Lena, dass sie Pläne macht, dass sie Ziele hat, dass sie sich auf etwas freut. Es kann sein, dass ein schulischer oder beruflicher Misserfolg wieder zu einem Rückfall führt. Aber soll sie deswegen weder Beruf noch Schule wagen? Auch eine Reise, die sie sich so sehr wünscht, kann schlecht enden. Ebenso gut kann es passieren, dass eine Liebesenttäuschung Lena wieder in eine Psychose führt. Soll ich ihr deshalb wünschen, dass sie sich nicht verliebt?
    Es ist eine lange und harte Schule, durch die wir Angehörige gehen müssen, bis wir mit den Stimmungsschwankungen, dem unerklärlichen Verhalten, der Wut und Aggression oder auch Depression unserer kranken Kinder umgehen können. Bei mir führte der Weg über Schock, Verzweiflung, Resignation und Wut bis zur Gelassenheit. Eine »Qualifizierung« zur »guten« Angehörigen habe ich nie erhalten. Vielleicht kann man diese emotionale Entwicklung durch die Vermittlung von Wissen nicht ganz vorwegnehmen, aber es würde den Weg erleichtern und viele unproduktive Umwege unnötig machen.

Mami, ich hasse dich nicht!
    Auf meine Frage während eines Vortrags rät mir eine tiefenpsychologisch orientierte Therapeutin, darüber nachzudenken, was denn an unserer Mutter-Tochter-Beziehung für Lena quälend sein könne. Der Hintergrund war ein wütender Vorwurf Lenas, ich hätte sie ja nur auf die Welt gebracht, um sie 32 Jahre lang quälen zu können. Laut Therapeutin gibt es immer einen wahren Kern in solchen Aussagen. Die wütenden Äußerungen von Patienten in psychotischen oder manischen Phasen seien oft die einzige Möglichkeit, bestimmte Konflikte anzusprechen, weil es innerhalb der gewohnten Kommunikation der Familie nicht möglich sei, dies zu tun. Das glaube ich sofort. Vor allem bei mir kann das zutreffen, denn ich vermeide Konflikte, wo immer es geht. Weiter erklärt die Therapeutin, dass ich vor jedem Ausbruch von Lena etwas getan oder gesagt haben muss, dass sie verletzt oder aufgeregt hat. Ich bin gerne bereit, auch darüber nachzudenken. Nun ist mein Umgang mit Lena ohnehin schon von permanenter Vorsicht und Aufmerksamkeit geprägt. »Du wirbst ja die ganze Zeit um Lena«, sagt mir eine Freundin nach einem gemeinsamen Restaurantbesuch. »Sie zieht nur eine Augenbraue hoch, und sofort wuselst du um sie herum, ob auch alles in Ordnung sei und ob du noch irgendetwas tun könntest, um jede Irritation von ihr fernzuhalten. Das muss doch nicht sein.« Ich bin überrascht. Ich hatte immer gedacht, dass ich zu wenig tue, aber möglicherweise tue ich zu viel. Es kommt vermutlich auf die Perspektive an. Eins stimmt sicher, ich hatte in Lenas Anwesenheit immer das Gefühl, auf rohen Eiern balancieren zu müssen. Wenn die Therapeutin weiß, dass jedem Ausbruch eine Kränkung vorausgegangen sein muss, heißt das nun, dass ich jedes Wort noch genauer abwägen muss? Mich sofort zurücknehmen, wenn ich einen leichten Missmut in Lenas Mimik erkenne? Oder muss ich vielmehr lernen, diese Ausbrüche nicht an mich herankommen zu lassen? Und wenn ja, kann mir jemand sagen, wie man
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