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Schizophrenie ist scheiße, Mama!: Vom Leben mit meiner psychisch erkrankten Tochter (German Edition)

Schizophrenie ist scheiße, Mama!: Vom Leben mit meiner psychisch erkrankten Tochter (German Edition)

Titel: Schizophrenie ist scheiße, Mama!: Vom Leben mit meiner psychisch erkrankten Tochter (German Edition)
Autoren: Janine Berg-Peer
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bin froh, dass ich auf diese Weise Gelegenheit habe, Lenas Wohnung aufzuräumen, und dass sie in eine freundliche Umgebung zurückkommen kann. Sie soll nicht gleich mit den Auswirkungen ihrer Krankheit konfrontiert werden.

Stille Post …
    Drei Monate später zeigt Lena mir den Arztbericht, und ich bin überrascht. Der dort beschriebene Verlauf von Lenas Krankheit entspricht in vielem nicht den Tatsachen. Einige Jahreszahlen sind nicht korrekt, und ganz zu Beginn von Lenas Krankheit soll eine von Lenas Schwestern den Ärzten erzählt haben, dass sie bereits in der frühen Kindheit an solchen Krankheitsepisoden gelitten habe. Keine von Lenas Schwestern hat je mit einem ihrer Ärzte gesprochen. Und Lena hatte vor ihrem 17. Lebensjahr nie eine solche Episode. Ich frage mich, in welchen Unterlagen der Arzt diese Angaben gefunden hat. Durch wie viele Akten und Gespräche mag Lenas Krankengeschichte inzwischen gegangen sein? Ich lese weiter. Lenas Vater sei ein Maniker gewesen, und ihre Mutter leide an einer unipolaren Depression. Das soll Lena beim Aufnahmegespräch gesagt haben. Wird bei Lenas Krankengeschichte noch ein Unterschied gemacht zwischen dem, was Lena gesagt hat oder gesagt haben soll, und dem, was den Tatsachen entspricht? Nicht dass es jetzt noch eine Rolle spielt, aber dieser offensichtliche Stille-Post-Effekt lässt bei mir eher noch mehr Zweifel an der Richtigkeit von Diagnosen aufkommen.

2012
    Lena ist zurück
    Als ich Lena ihren geliebten Kater Raymond wiederbringe, bin ich überrascht. Ihre Wohnung ist aufgeräumt und wohnlich – ich finde nur noch eine normal belebte Unordnung vor. Lena selbst ist gefasst und gut gelaunt. »Am nächsten Freitag habe ich den ersten Termin mit der Soziotherapeutin«, erzählt sie mir. »Wir wollen uns mal miteinander unterhalten.«
    »Hat sie dich angerufen?«, frage ich.
    »Nein, nein, ich habe sie angerufen. Ich denke, dass es doch ganz gut ist, wenn ich jemanden habe, mit dem ich viele Sachen besprechen kann. Und sie war ja wirklich sehr nett.«
    Ich kann es nicht glauben. Über zehn Jahre haben Lenas Arzt, ihre Betreuerin und ich uns bemüht, Lena dazu zu bringen, dass sie diese Hilfe annimmt, also einen Menschen, der in die Wohnung kommt, mit dem Lena ihre Probleme besprechen kann, der sie zum Aufräumen ermuntert oder ihr Tipps und Hilfestellungen gibt. Und plötzlich ruft Lena von selbst dort an! Welches Wunder ist geschehen? Es muss ein großes Glück gewesen sein, dass Lena im letzten Krankenhaus ernst genommen wurde und auf verständnisvolle Ärzte traf. Sie konnte mit ihnen nach Absprache mit ihrem langjährigen Psychiater ein neues Medikament wählen, das weniger Nebenwirkungen hat. Sie hat die Empfehlung, sich Hilfe zu suchen, akzeptieren können. Ich bin diesen engagierten Ärzten wirklich dankbar.
    Auch in ihrem persönlichen Umfeld konnte sie »Ordnung« herstellen. Sie hat ein Gespräch mit ihrer Betreuerin gesucht, sich entschuldigt und ihre Verhaltensweisen erklärt. Es wäre nicht nötig gewesen, aber es war Lena wichtig, ihre Beziehungen zu ordnen. Sie wollte wieder Kontrolle über ihr eigenes Leben haben. Sie hat sich auch bei ihren Nachbarn entschuldigt, die wieder lächeln, wenn ich ihnen begegne. Sie würde doch hoffentlich nicht denken, dass ihr jemand etwas nachtrage, sagt ein älterer Herr im Fahrstuhl zu mir. So etwas könne allen Menschen passieren. Auch seine Frau müsse Tabletten nehmen. Lena ist zurück. Sie kann wieder Beziehungen gestalten und hat den Mut, sich ihren schwierigen Verhaltensweisen zu stellen. Und sie berichtet stolz, dass ihr Arzt und die Betreuerin der Meinung seien, dass die Betreuung nun auch wieder aufgehoben werden könne. Das sei jetzt nicht mehr nötig.
    Dennoch hat die lange Krankheitsphase ihre Spuren bei Lena hinterlassen. Nach der Klinik ist sie eine Weile traurig und resignativ. Sie denkt viel über ihre Zukunft nach. »Was mache ich nur mit diesem angebrochenen Leben, Mami?«, fragt sie mich traurig. »Alle meine Freundinnen haben studiert und teils auch schon Kinder. Und was habe ich? Gar nichts. Ich kann nichts, mich wird auch nie jemand einstellen, wie soll ich denn die lange Krankheit erklären?« Ihr kommen die Tränen. »Weißt du, es ist schon schlimm, wenn man eine Krankheit hat, bei der man sich auf seine Wahrnehmung nicht verlassen kann. Woher weiß ich, dass das, was ich jetzt wahrnehme, auch real ist? Und woher weiß ich, ob meine Freude über etwas nicht schon der Beginn einer Manie ist? Du
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