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Schizophrenie ist scheiße, Mama!: Vom Leben mit meiner psychisch erkrankten Tochter (German Edition)

Schizophrenie ist scheiße, Mama!: Vom Leben mit meiner psychisch erkrankten Tochter (German Edition)

Titel: Schizophrenie ist scheiße, Mama!: Vom Leben mit meiner psychisch erkrankten Tochter (German Edition)
Autoren: Janine Berg-Peer
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heute haben wir einen schönen Nachmittag.

Na, das ist doch mal ein klares Wort …
    Psychisch Kranke verletzen ständig Grenzen, und das erfordert von uns Angehörigen, sie freundlich, aber bestimmt wieder auf ihre Seite der Grenze zu schieben. Ich selbst bin ein Mensch, der nur sehr schwer Grenzen setzen kann. Ich musste es im Umgang mit Lena lernen und mir hart erarbeiten. Und vermutlich bin ich noch immer nicht wirklich gut darin. Aber ein Schlüsselerlebnis hat mich bestärkt, es weiter zu trainieren: Lena und ich sitzen an einem schönen Sommernachmittag auf der Terrasse unserer Lieblingspizzeria. Lena mit ihren dunklen Locken und dem strahlenden Lächeln bekommt hier immer besonders schnell und freundlich das gewünschte Gericht. Sie erkundigt sich sofort nach der Mathearbeit des Kellnersohns. Alles gut gelaufen, strahlt der Kellner. Woher weiß Lena so etwas? Aber so ist sie, trotz Krankheit. Ihr erzählen alle Menschen gerne etwas von sich, und sie geht mit Interesse und Freundlichkeit auf jeden Menschen zu. Das könnte bei einer lang anhaltenden psychischen Krankheit auch ganz anders sein. Als Lenas Mutter wird mir zu meiner Pasta immer ein besonders gutes Glas empfohlen. Die Nudeln schmecken gut, die Sonne scheint, alles ist schön. Plötzlich fällt Lena die Gabel hinunter. Es ist ihr peinlich, sie schimpft, bückt sich, stößt mit dem Kopf an den Tisch, flucht. Ich versuche zu helfen, sie schreit mich an. Inzwischen gucken alle. Der Kellner eilt mit einer neuen Gabel herbei. Alles könnte wieder gut sein. Aber nun hat sich irgendwo tief in Lena eine Schleuse geöffnet.
    »Das kann doch mal passieren«, schreit sie mich an. »Das könnte dir doch auch passieren, das ist schließlich nicht so schlimm, wenn mal die Gabel runterfällt. Immer meckerst du mich an …« Bis zu diesem Zeitpunkt habe ich kein einziges Wort von mir gegeben. Ich bestätige, dass es wirklich nicht so schlimm sei. Aber es ist zu spät. Eine Wortflut bricht aus ihr heraus über die Widerlichkeit der Betreuerin, die eine alte … sei und immer nur betrügt und die überhaupt nur die Macht über sie erlangt hätte, weil ich bei der Gutachterin einfach losgeheult hätte, nur damit die ein falsches Gutachten schreibt …, das sei ätzend, und ich hätte sie entmündigen lassen, und diese widerliche … würde immer … und nie … Ihre Stimme wird immer lauter. Sie holt tief Luft. Ich weiß, es wird nicht aufhören. Die anderen Gäste schauen irritiert zu uns herüber. Der Kellner wirkt beunruhigt. Ich werde dunkelrot. Noch vor kurzem wäre ich nun in Tränen ausgebrochen, hätte versucht, Lena zu beschwichtigen oder mit ihr zu argumentieren. Jetzt packt mich plötzlich eine unbändige Wut. Ich habe genug. Ich muss mich nicht so anbrüllen lassen. Auch nicht von meiner Tochter. Ich greife meine Tasche, hole aus meinem Portemonnaie zwanzig Euro, lege sie auf den Tisch und sage ruhig zu Lena »Ich möchte nicht, dass du noch ein einziges Mal so in meiner Gegenwart über die Betreuerin oder einen anderen Menschen redest. Ich will auch solche Ausdrücke nicht mehr hören. Und ich will nie wieder angeschrien werden. Wenn das noch ein einziges Mal passiert, stehe ich sofort auf und gehe. Hier sind zwanzig Euro, du kannst dann bezahlen.« Und was passiert? Lena lehnt sich entspannt in ihren Gartenstuhl zurück, zieht tief an ihrer Zigarette und sagt lächelnd: »Na, das war ja mal ein klares Wort, da weiß man, woran man ist. Bleib doch, Mami, es ist gerade so schön.« Ich hätte sie umbringen können.

2011
    Diesmal ist es die Feuerwehr
    Schon der erste Anruf der neuen Hausverwaltung hat mich und Lena stark beunruhigt. Meine Odyssee durch die Sozialpsychiatrie ist ergebnislos geblieben, dennoch glaube ich, dass eine Krise abgewendet ist. Den Sommer über wirkt Lena fröhlich, trifft sich mit Freunden, kocht für mich. Ich bin entlastet und voller Hoffnung. Ein erneuter Anruf der Hausverwaltung im Dezember macht diese Hoffnung zunichte. Ich fahre sofort zu Lena und sehe, dass die Krankheit sich fünf Monate nach dem Umzug wieder in ihr ausgebreitet hat. Ich bin erschrocken, als ich sehe, dass sie sich ihr schönes Haar abgeschnitten hat. Es steht in schiefen Bündeln vom Kopf ab, an manchen Stellen ist es bis auf die Kopfhaut abgesäbelt. »Mami, ich habe jetzt wieder diese Aggressionsattacken, dann schmeiße ich alles durch die Wohnung. Und ich kann nicht schlafen, ich bin die ganze Nacht wach. Ich musste mir die Haare abschneiden,
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