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Schimmer (German Edition)

Schimmer (German Edition)

Titel: Schimmer (German Edition)
Autoren: Ingrid Law
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hatte, bis sie seinen Heiratsantrag angenommen hatte, selbst nachdem Tante Dinah ihm gesagt hatte, er solle abhauen. Ich dachte an die weltgrößte Verandaschaukel und wie Poppa immer geschworen hatte, uns eines Tages eine eigene zu bauen. Ich dachte daran, wie Poppa spät von der Arbeit nach Hause gekommen war, weil er entschlossen gewesen war, das allerschönste Festtagskleid auszusuchen, das er finden konnte.  
    »Du hast einen Schimmer, Poppa. Wirklich«, sagte ich immer wieder in sein Ohr. »Du gibst nie auf, Poppa, niemals. Das ist dein Schimmer. Dass du nie, nie aufgibst.«  
    Ich schloss die Augen und wünschte mir etwas, in meiner Vorstellung war es ein verspäteter Geburtstagswunsch. Ich wünschte mir, Poppa könnte mich hören. Ich wünschte mir, Poppa würde lauschen. Dann beugte ich mich hinunter und küsste ihn auf die Stirn.  
    »… aufgeben«, sagte eine Stimme in meinem Kopf, ganz, ganz schwach.  
    Ich schlug die Augen auf. Samsons Hand ruhte leicht auf Poppas Schulter.  
    »… nicht … aufgeben.« Da war die Stimme wieder, ein klein wenig lauter jetzt.  
    Ich schaute Samson an. Ich wusste nicht, ob ich meinen kleinen Bruder je hatte weinen sehen, er hatte immer alles so gut verborgen, aber jetzt weinte er, ohne ein Schluchzen, ohne einen Ton. Die größten, leisesten Tränen glitten über Samsons Gesicht und fielen auf Poppas Brust, fielen wie Fishs Regen.  
    Vielleicht lag es an Samson oder an meinen Worten oder an meinem Wunsch … oder es war ein Wunder. Oder vielleicht war es bei Poppa genauso wie bei Samsons toter Schildkröte, vielleicht tat die Natur nur das ihre und jetzt war es für Poppa einfach Zeit, gesund zu werden und aufzuwachen. Wir würden es nie genau erfahren. Selbst wenn man einen Schimmer hat, bleibt manches für immer ein Geheimnis.  
    »… nicht aufgeben.«   
    Die Meerjungfrau zitterte und raschelte ganz leicht mit dem Schwanz, als wäre die Anstrengung beinahe zu groß.  
    »Ich werde nicht aufgeben«, sagte die Stimme in meinem Kopf jetzt lauter.  
    »Poppa!«, rief ich, jetzt war ich mir sicher, dass es nicht nur meine Hoffnung war. Die Stimme kam von Poppa und der Meerjungfrau. »Poppa, genau! Du gibst nicht auf! Poppa, kannst du mich hören? Ich bin’s, Mibs!«  
    Rocket legte mir die Hände auf die Schultern und versuchte mich zum Schweigen zu bringen, aber ich schüttelte ihn ab. Opa erhob sich mit ernster Miene von seinem Stuhl.  
    »Poppa! Kannst du mich hören? Gib nicht auf!«, rief ich wieder.  
    »Mibs, hör auf so zu schreien!«, sagte Rocket. »Wir sind hier in einem Krankenhaus.«  
    »Er hört mich, Rocket! Ich weiß es. Und ich höre ihn auch.«  
    »Mibs, Poppa ist noch nicht mal bei Bewusstsein.« Jetzt wurde Rocket auch lauter, er klang müde und gereizt. Aber ich achtete nicht auf ihn und schrie Poppa weiter ins Ohr.  
    »Mibs!«, rief Rocket und versuchte wieder mich von Poppa wegzuziehen.  
    Ohne Vorwarnung drehten sämtliche der brummenden, surrenden, rauschenden Apparate und Monitore durch. Lämpchen blinkten und der Alarm ging los. Die Geräte sprühten Funken und das Auf und Ab der Kurve auf Poppas Herzüberwachungsgerät wurde mit einem einzigen grauenhaften Ton zu einer geraden Linie.  
    Rocket wurde kalkweiß. Entsetzen verzerrte sein Gesicht, er ging rückwärts aus dem Zimmer und stieß dabei gegen Fish und Momma, die den Tumult gehört hatten und jetzt angerannt kamen. Hinter ihnen kam die Schwester mit dem Regenbogenkittel.  
    »Alle verlassen auf der Stelle das Zimmer«, sagte die Schwester.  
    »Nein!«, rief ich. »Poppa braucht mich! Ich höre ihn!«  
    »Mibs, bitte …«, sagte Momma.  
    Ich konnte mich nicht wegschicken lassen. Ich musste bleiben und Poppa zuhören. Ich musste ihm sagen, dass es Zeit war aufzuwachen und dass ich dann bei ihm sein würde. Ich senkte die Stimme und beugte mich wieder dicht an Poppas Ohr, hielt mich an seinem Bett fest und ignorierte alle, die mich wegziehen wollten.  
    »Du bist mein lieber, guter Poppa und jetzt ist es Zeit, dass du aufwachst und nach Hause kommst. Du musst nach Hause kommen und uns die Verandaschaukel bauen, damit wir zusammensitzen und nachdenken und den vorüberziehenden Wolken zuschauen können. Dann kann ich dir alles erzählen von Bussen und Küssen und Stimmen und was du sonst noch alles verschlafen hast. Gib nicht auf, Poppa. Gib nicht auf!«  
    Weitere Schwestern stürmten ins Zimmer und ein Krankenpfleger versuchte
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