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Schimmer (German Edition)

Schimmer (German Edition)

Titel: Schimmer (German Edition)
Autoren: Ingrid Law
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hoffte, dass sie im Krankenhaus genügend Ersatzglühbirnen hatten und dass Rocket nicht zu nah an lebenswichtige Geräte gekommen war.  
    Jetzt saßen wir alle ganz vorn auf unseren Sitzen; seit wir die Schnellstraße verlassen hatten, war auch die letzte Spur von Schläfrigkeit verschwunden. Wäre Bill nicht vorausgefahren, hätte es ewig gedauert, sich mit dem Bus einen Weg durch die verstopften Straßen zu bahnen.  
    Bill schaltete die Sirene ein, und ein- oder zweimal stieg er sogar aus und winkte den Bus über Kreuzungen, wo genervte Fahrer uns nicht durchlassen wollten. Am Nachmittagshimmel, der sich vor unserer Ankunft kornblumenblau über der Stadt gewölbt hatte, zeigten sich jetzt immer mehr Wolken. Niederschlag sammelte sich am Rand der Atmosphäre in Gestalt einer kleinen dunklen Sturmwolke genau über dem Bus. Doch Fish hielt seinen Schimmer mit einer starken, geschickten Lasur in Schach, und die Wolke lauerte nur grimmig über uns, ohne ein einziges Tröpfchen herabzuschicken.  
    Bill musste im Krankenhaus angerufen und uns angekündigt haben, denn in dem Moment, als der große rosa Heartland-Bibelbus hinter dem Streifenwagen auf den Krankenhausparkplatz auffuhr und direkt vor den großen gläsernen Schiebetüren des Eingangs hielt, sahen wir schon unsere Familien, die auf uns warteten.  
    Pastor Meeks und Miss Rosemary konnten sich offenbar nicht entscheiden, ob sie erleichtert oder wütend sein sollten, ihre Mienen wechselten zwischen staunend und starr, lächelnd und steif. Rocket und Momma sahen abgespannt und schlaflos aus. Zu meiner Überraschung hielt Momma eine zappelnde Gypsy fest, und Opa Bomba stützte sich auf Rockets Arm und hielt eins von Oma Dollops Einmachgläsern in der Hand. Offenbar hatten der Pastor und seine Frau den Rest unserer Familie mitgenommen, und dafür war ich ihnen dankbar. Es war gut, dass wir alle wieder beisammen waren.  
    Lester öffnete die Bustür, und da setzte Momma Gypsy ab, nahm sie an die Hand und rannte auf uns zu, während wir die drei Stufen hinuntergingen.  
    »Wo um alles in der Welt habt ihr gesteckt? Was habt ihr euch bloß dabei gedacht?«, schrie Momma. Sie packte Fish und Samson und mich und hielt uns fest, ganz fest, sie drückte uns zusammen mit Gypsy wie einen großen Blumenstrauß in einer vollkommenen Umarmung. Als sie uns schließlich losließ, zog sie uns ins Krankenhaus hinein und untersuchte uns alle, als wollte sie nachsehen, ob auch alle Finger und Zehen noch dran waren.  
    »Ich hab mir gar keine Sorgen gemacht«, sagte Rocket, aber sein Gesicht war so hart und verkniffen, dass ich ihm kein Wort glaubte. Er drückte meine Schulter und verpasste mir dabei aus Versehen einen Stromschlag, dass ich zusammenzuckte. Seine Stimme brach, als er sagte: »Am dreizehnten Geburtstag gibt es bei uns ja immer ein Riesenspektakel.« Dann boxte er Fish gegen den Arm, zerstrubbelte Samson die Haare, so dass sie elektrostatisch geladen hochstanden. Bis dahin hatte ich mir keine Gedanken darüber gemacht, dass Rocket nicht nur um Poppa besorgt war, sondern auch um uns. Das schlechte Gewissen drückte mich fast nieder – kein Wunder, dass er so großen Schaden angerichtet hatte.  
    Opa Bomba stand auf, und Tränen liefen ihm über die runzligen Wangen, als er von einem zum anderen schaute. Er hielt das Einmachglas mit dem verblichenen Etikett fest in der Armbeuge, und ich wusste sofort, welches es war.  
    Ich schlang die Arme um meinen Opa und drückte ihn, so fest seine alten Knochen es zuließen. »Es ist alles gut, Opa«, sagte ich. »Jetzt sind wir alle wieder zusammen, wie es sich gehört.«  
    Ich ließ ihn los und schaute zu Momma. Samson war an ihrer Seite und zupfte sie am T-Shirt. Momma achtete nicht auf die zerrende Gypsy und bückte sich, damit Samson ihr etwas ins Ohr flüstern konnte. Mit großen, dunklen Augen schaute Samson zu Momma auf, und ich sah, wie seine Lippen das Wort formten, das wir alle im Kopf hatten.  
    »Poppa?«  
    Mommas Gesicht wurde matt, das warme Lächeln, mit dem sie uns begrüßt hatte, verschwand für eine halbe Sekunde, bevor es durch ein anderes Lächeln ersetzt wurde – ein Lächeln, das aus Liebe und Leid geboren wurde und aus dem Wunsch, uns vor unseren allerschlimmsten Ängsten zu beschützen.  
    »Es ist gut, dass ihr jetzt alle hier seid«, sagte Momma sanft. »Es war ein Fehler von mir, euch nicht gleich mitzunehmen.«  
    »Aber Momma«, sagte ich. »Du machst doch keine
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