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Schilf im Sommerwind

Schilf im Sommerwind

Titel: Schilf im Sommerwind
Autoren: Luanne Rice
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kannte er keine Hemmungen. Sie schmiegte sich an ihn, spürte ihre Herzen durch ihre dicken Pullover im Gleichtakt schlagen.
    »Ich kann es nicht fassen, dass wir uns im gleichen Haus befinden.«
    »An dem Haus fuhr ich damals vorbei«, sagte er. »Und ich sah dich im Garten malen. Glaubst du, wir wären die ganze Zeit ein Paar gewesen, wenn ich damals angehalten hätte?«
    »Keine Ahnung.« Dana küsste ihn und dachte daran, welche Rätsel die Zeit bereithielt und dass Liebe und Geheimnisse eng miteinander verwoben waren wie die Kletterpflanzen, die auf den Mauern von Martha’s Vineyard wuchsen. »Aber es ist müßig, darüber nachzudenken. Über die vergeudete Zeit …«
    »Vergeudet?«, fragte er, sie auf seinem Schoß haltend.
    Dana dachte an die Mädchen, die im Haus schliefen, an das eigene Kind, das sie nie gehabt hatte. Sie hatte wie eine Einsiedlerin gelebt und der Möglichkeit entsagt zu lieben, um sich ganz der Malerei zu widmen, ihren Bildern vom tiefen blauen Meer. Sie dachte an Jonathan, an das Misstrauen und den Verrat. Sie hatte viele Jahre alleine verbracht, und danach mit dem falschen Mann. Ihr Blick schweifte über das Land, und sie lächelte traurig. Sam war klug, attraktiv, liebevoll. Er würde einen wunderbaren Vater abgeben.
    »Ich habe an das Leben gedacht«, sagte sie. An das ihrer Nichten, das gerade erst begann, an Marks und Lilys, das beendet war, an ihr eigenes und Sams, an das der Kinder, die sie nie gehabt hatte.
    »Oh.«
    Er küsste ihr Gesicht, ihre Lippen. Sie klammerte sich an ihn, voller Leidenschaft, aber in dem Wissen, dass das Schicksal seltsame Wege geht. Es hatte ihr die große Liebe ihres Lebens geschenkt, doch genau zu dem Zeitpunkt, an dem ihre biologische Uhr abzulaufen begann. Sie war einundvierzig, fast zweiundvierzig und hatte ihr ganzes Leben damit verbracht, zu malen und die Welt zu bereisen, und es hatte Lilys Tod bedurft, um sie zur Heimkehr zu bewegen und den Wunsch in ihr zu wecken, sich häuslich niederzulassen.
    »Woran denkst du?« Sie umspannte sein Gesicht mit ihren Händen.
    »An dich. Wie schön du warst in den Wellen …«
    »Das ist lange her. Damals war ich so jung, wie du heute bist.«
    »Heute bist du noch schöner.«
    »Nein, finde ich nicht.«
    »Doch, Dana. Ich liebe dich.«
    »Ich liebe dich auch, Sam«, flüsterte sie. Die Luft war würzig, roch nach Salz, Äpfeln, Holzfeuer und Trauben. Das Gras raschelte im Wind, und der Mond leuchtete hell am Firmament. Der Leuchtturm stand da wie ein dunkler Wächter im Moor und ließ seinen Lichtstrahl über das Meer schweifen.
    »Du denkst an das Leben, sagtest du. An dein künftiges Leben?«
    »Ja.«
    »Komme ich darin vor?«
    »Ach Sam …« Sie wusste nicht, was sie darauf antworten sollte. Ja, er kam darin vor. Aber wie lange würde er bleiben wollen? Sie hatte ihm die Erfahrungen etlicher Jahre voraus, das Wissen um Verluste. Menschen änderten ihre Meinung, wurden von einer Minute auf die andere auseinander gerissen.
    »Heirate mich, Dana.«
    Seine Arme umfingen sie. Er küsste sie zärtlich, und er fühlte sich so warm und stark an, als wollte er sie nie mehr loslassen. Seine Lippen berührten ihren Mund, ihren Hals.
    »Dann hätten sie ein richtiges Zuhause.«
    »Sie?«
    »Die Mädchen. Wir können sie adoptieren, Dana.«
    »Quinn und Allie.«
    »Mark und Lily wäre es recht. Wir geben den Mädchen eine richtige Familie, als Ersatz.«
    »Das wäre schön.« Danas Augen füllten sich mit Tränen.
    »Und in einem Jahr möchte ich mit dir wieder hierher kommen.« Er strich ihr über die Haare, blickte in ihre Augen. »In dieses Haus, mit unserem Baby.«
    »Unserem?«
    »Ja. Wenn du mich jetzt heiratest, schaffen wir es bis dahin. Ich meine, unserem Kind im nächsten Sommer in Hubbard’s Point das Schwimmen beizubringen. Heirate mich, Dana. Sag Ja.«
    »Ja«, sagte Dana, als sie auf der Veranda vor dem kleinen Cottage in Martha’s Vineyard saßen und der Wind vom Atlantik ihre Haare zerzauste. Sie küssten sich und hielten sich lange umschlungen, während die Sterne am Himmel ihre Bahnen zogen. Sie dachte an die Liebe und an das Leben, träumte von den Kindern, die Lily und sie gewesen waren, von den beiden, die drinnen schliefen, und von denen, die Sam und sie bekommen würden.
    Sie sah das Bild vor sich, aber es war keine Meereslandschaft.
    Im Mittelpunkt der Szene stand eine Familie an einem breiten Sandstrand, bei ruhiger See. Die Sonne war untergegangen, und der Vollmond schien so wie jetzt.
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