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Schiffstagebuch

Schiffstagebuch

Titel: Schiffstagebuch
Autoren: Cees Nooteboom
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Verbannung und Einsamkeit. Die nichtspanischen Namen auf dem tristen Friedhof klingen nach China, nach Osteuropa, nach Exil und abenteuerlichen Lebensläufen, weiß der Himmel, was für Romane dort liegen, nicht jeder bekommt ein Malcolm Lowry oder ein Ben Traven auf seinen Grabstein. An der Außenwand des Postamts sehe ich einen anderen früheren Bewohner, das große gemalte Bild eines Yámana-Indianers in Todesnot, den Mund weit aufgerissen zu einem Schrei der Wut oder Angst, jemand, der weiß, es ist aus und vorbei mit seiner Welt.
     
    Der Regen hat sich verzogen, die Wolken sind übermächtig, Luftschiffe sind es, mit Polargesichtern, alles ist hier oben so weit, daß die Stadt zu schrumpfen scheint. In der Ferne sehe ich im Hafen unser Schiff als weißes Zeichen, daß ich hier nur vorübergehend bin, doch für diese Erkenntnis brauche ich kein Schiff.
     
    Plaza Islas Malvinas, habe ich auf einem Stadtplan gesehen. Platz der Falklandinseln, der englische Name darf hier nicht ausgesprochen
     werden, dies ist die offene Wunde in der argentinischen Seele. Vielleicht liegt er deshalb am Wasser, das plötzlich eisblau ist, weil die Wolkengeschwader
     inzwischen große Himmelsflächen frei lassen. Ein Steinweg, rechts hohe, dünne Laternen mit weißen Kugeln, abends muß es hübsch aussehen. Links die
     argentinische Fahne, ein großer Halbbogen mit dem an zwei Ketten befestigten Namensschild, ein Stück weiter die Landkarte der verlorenen Inseln. Aber es ist nichts auf ihr zu sehen, die Form der Inseln ist aus einem großen Metallrechteck ausgeschnitten, wie das herausgeschnittene Herz bei Zadkines Mahnmal Die zerstörte Stadt in Rotterdam. Was man durch diese Aussparung hindurch sieht, ist der Himmel, klar und strahlend über den Ausläufern der Hügel und dem Meer, etwas, das da ist und nicht da ist, etwas, das fehlt.
    Ushuaia, Argentinien
    Das Museum ist inzwischen geöffnet, eine bewahrte Welt aus bewahrten Fotos. Da sind sie wieder, die gestreiften Gefangenen aus dem Presidio, die nackten Indianer. In dem Buch Ushuaia von Lic. Carlos Pedro Vairo, das ich dort kaufe, sind Zeichnungen aus Darwins Buch abgebildet, die dieser selbst angefertigt hat. Vairos Kommentar ist ungeschminkt: »Ohne es zu wollen, verurteilte er siefür alle Zeiten.« Darwin hatte an einer Expedition unter dem Kommando von Robert FitzRoy teilgenommen, der auf einer früheren Reise vier Yámana in das für sie unvorstellbare England mitgenommen hatte, und weil niemand wußte, wie sie hießen, hatte die Besatzung sich Namen für sie ausgedacht: Fuegia Basket, Jemmy Button, Boat Memory und York Minster. Drei von ihnen überlebten die Zivilisation und kehrten auf demselben Schiff nach Feuerland zurück wie Darwin, der somit reichlich Zeit hatte, sie zu studieren. In dem Expeditionsbericht ( Proceedings of the Second Expedition 1831-1836 under the Command of Captain Robert Fitz-Roy, R.N .) findet sich eine Beschreibung der Yámana, die darin Tekeenica genannt werden, und in Verbindung mit den Zeichnungen vermittelt sie kein attraktives Bild. »The Tekeenica are low in stature, ill-looking, and badly proportioned. Their colour is that of very old mahogany, or rather between dark cooper [sic] and bronze. The trunk of the body is large, in proportion to their cramped and rather crooked limbs. Their rough, coarse, and extremely dirty black hair half hides yet heightens a villainous expression of the worst description of savage features.« Es folgt eine detailreiche, minuziöse Beschreibung von Haar, Knien, Händen und Gang, die dann ebenso schmeichelhaft endet mit: »Sometimes these satires upon mankind wear a part of the skin of a guanaco or a sealskin upon their backs, and perhaps the skin of a penguin or a bit of hide hangs in front, but often there is nothing …« Die Beschreibung der Frauen ist gleichfalls von kaum verhohlenem Abscheu gefärbt: »Their features, especially those of the old, are scarcely less disagreeable than the repulsive ones of the men. About four feet and some inches is the stature of these she-Fuegians – by courtesy calledwomen. They never walk upright: a stooping posture, an awkward movement is their natural gait. They may be fit mates for such uncouth men; but to civilized people their appearance is disgusting.«
    Ein halbes Jahrhundert später konnten sie fotografiert werden, und was man durch den Schleier der veralteten Technik sieht, ist das Verhängnis des sogenannten Fortschritts, wobei der eine erscheint und der
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