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Schiffbruch

Schiffbruch

Titel: Schiffbruch
Autoren: Sissi Kaipurgay
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Unterstand ist leer.
     
    Was habe ich auch anderes erwartet? Ein Begrüßungskomitee? Ich suche die nähere Umgebung ab, Tomaso finde ich jedoch nicht, aber eindeutige Lebenszeichen. Die Asche in der Feuerstelle ist frisch, die Decke auf dem provisorischen Bett ordentlich zusammengefaltet. Auf einem Holzstück stehen aufgereiht seine kostbaren Schätze: Ein kleiner Spiegel, das Rasiermesser, eine frische Blüte und ein winziges Parfumfläschchen. Ich muss lächeln bei diesem Anblick und mein Herz klopft hart gegen die Rippen. Wie sehr ich ihn doch vermisst habe.
    „Was willst du hier?“, schreckt mich in diesem Moment Tomasos Stimme auf.
    Er kommt langsam herangeschlendert und trägt den Sonnenschirm lässig über der Schulter. Statt des Blätterröckchens hat er eine Art Lendenschurz an, der seinen Schwanz gänzlich verbirgt, und die Haare stehen ihm verfilzt vom Kopf ab. Die Seife und das Shampoo müssen ihm zwischenzeitlich ausgegangen sein, fällt mir ein.
    Am liebsten wäre ich auf ihn zugestürmt, doch sein Blick ist kalt und hält mich auf Distanz. Ich schlucke, suche nach Worten, doch alles, was ich mir zurechtgelegt habe, ist plötzlich weg.
    „Wenn du hier bist, um mich zu retten, kannst du gleich wieder abhauen“, sagt Tomaso und geht – in gebührendem Abstand – um mich herum.
    „Ich – wollte dich wiedersehen“, bringe ich mit schmerzender Kehle hervor.
    „Na toll“, spottet Tomaso, „nun hast du mich gesehen, damit wäre das dann wohl erledigt.“
    „Du freust dich nicht, dass ich wieder hier bin?“ Ich stecke die Hände in die Taschen meiner Jeans und wippe nervös auf den Fersen vor und zurück.
    „Nein – und ja“, sagt Tomaso, legt den Schirm weg und lässt sich neben der Feuerstelle ins Gras plumpsen. „Als du abgehauen bist, war ich erst sauer – und traurig. Doch mit der Zeit habe ich dich vergessen und bin nun sehr zufrieden mit dem Leben hier. Ich habe alles, was ich brauche. Warum sollte ich dich also herbeisehnen?“
    Wamm! Das ging mitten ins Herz. Tomaso sieht mich fest an, ernst, ohne das kleinste Lächeln. Er ist noch dünner geworden und seine Mundwinkel hängen. So habe ich ihn noch nie gesehen, ich kenne ihn nur fröhlich oder zumindest in sich ruhend. Mein Magen ballt sich zusammen und ich wende mich ab, damit er nicht sieht, wie enttäuscht ich bin.
    „Ich geh mal das Gepäck suchen“, sage ich und verlasse die Lichtung.
     
    Zwei Stunden später bin ich schwer beladen zurück. Tomaso sitzt neben der Feuerstelle und schält Bananen, guckt nicht einmal auf, als ich zwei riesige Taschen neben ihm ins Gras fallen lass. Ich wühle in der einen nach den Geschenken, die ich für ihn gekauft habe. Als ich die Tüte mit dem Zeug in der Hand halte, kommt es mir plötzlich albern vor.
    Die Schminke, Haarbänder, Duftwässerchen – wie wird er es auffassen? Wird er sich wie eine Nutte fühlen? Beim Kauf war ich so sicher und regelrecht euphorisch, habe mich in Gedanken über sein strahlendes Gesicht gefreut, während er die Gegenstände hervorholt, doch nun…
    „Hast du vielleicht Vaseline dabei? Bräuchte welche für meine Lippen“, brummt Tomaso.
    Oh, richtig! Ich finde das Päckchen mit Seife und anderen Körperpflegemitteln, lege es vor ihm auf den Boden und bringe die Taschen in den Unterstand. Unschlüssig bleibe ich dort stehen und habe keine Ahnung, was ich jetzt tun soll.
    „Ich gehe zum Strand“, informiere ich schließlich Tomaso, der mit einem leichten Nicken zu erkennen gibt, dass er mich gehört hat.
     
    Ich lege den Fallschirm ordentlich zusammen, so gut das allein geht, und laufe danach den Strand entlang, einmal um die ganze Insel herum. Gedanken wandern ziellos durch meinen Kopf. Mal beschließe ich, zurück zur Lichtung zu gehen und Tomaso einfach zu überfallen, dann wiederum überlege ich, ob ich mir einen anderen Platz suchen soll, bis das Schiff eintrifft.
    Genau: In wenigen Wochen wird die von mir erstandene Yacht hier eintreffen, mit meinen Freunden Joshua und Winston an Bord. Die beiden sind kurz vor meinem Aufbruch in Sandakan eingetroffen. Ich kenne sie ewig und würde ihnen mein Leben anvertrauen, so, wie ich ihnen jetzt mein Schiff anvertraut habe, damit sie es hierherbringen können, um mich und Tomaso zurück in die Zivilisation zu holen.
    Ich werde die Insel ohne ihn nicht verlassen, das ist mein fester Entschluss. Nur – wie will ich das anstellen? Als ich mich langsam auf den Weg zum Lager mache, weiß ich immer noch keine
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