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Schief gewickelt (German Edition)

Schief gewickelt (German Edition)

Titel: Schief gewickelt (German Edition)
Autoren: Matthias Sachau
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die Zwölfte sogar auch … und … ach ja, ich hab sogar schon Abitur … und, hm, ich hab sogar schon ziemlich lang Abitur, hab schon eine Schlosserlehre angefangen und abgebrochen und ein Anthropologiestudium auch. Warum träume ich eigentlich noch von der Schule?
Wenn nun mein Abiturzeugnis das Erste ist, was ich nach dem Aufwachen sehe, läuft dieser Prozess wenigstens etwas schneller ab.
Heute träume ich aber keinen Schulalptraum. Ich träume von Amelie. Ich tummle mich mit ihr in der Luxussuite des neuen Airbus A380, den sie gestern Abend in den Tagesthemen gezeigt haben. Lustigerweise ist alles mit Flokati-Teppichen ausgelegt, und auch die übrigen Details scheinen allesamt aus 70er-Jahre-Pornofilmkulissen zu stammen. Amelie ist in das große weiße Badetuch eingehüllt, in dem sie früher immer über unseren WG -Flur gehuscht ist, wenn sie geduscht hatte. Sie lächelt ihr wunderbares Lächeln und die Spitzen ihrer leicht feuchten hellbraunen Haare umschmeicheln ihre zarten Schultern. Sie sagt nichts. Aber irgendwie kann ich fühlen, dass gleich … Oh, sie nimmt meinen Kopf in ihre noch von der Dusche ganz warmen Hände, und ihr Mund nähert sich meinem linken Ohr. Von der anderen Seite kommt Amelies beste Freundin Julia dazu. Das Tigerfell, das sie sich um die Brust geschlungen hat, verdeckt kaum das Nötigste, und ihre wilde blonde Lockenmähne wippt im Takt zum leisen Easy-Listening-Gedudel im Hintergrund. Sie widmet sich meinem anderen Ohr. Ich spüre ihre warmen Lippen. Es kitzelt, als ihre kleine Zunge in meinen Gehörgang eindringt, und ich schließe die Augen.
Und dann brüllen beide plötzlich » GROOOOOOOOOOOOOOOOH !!!«
Ich wache sofort auf, sehe mein Abiturzeugnis und hoffe kurz, dass es auch Amelie und Julia ihre normalen Stimmen wiedergeben kann, aber ich höre immer noch » GROOOOOOOOOOOOOOOOH !!!«, und während sich meine Augen langsam auf die Worte »Allgemeine Hochschulreife« scharf stellen, klafft plötzlich genau an dieser Stelle ein Loch im Papier auf, Staub- und Mauerwerksbrocken fliegen mir um die Ohren und irgendwas Großes, Spitzes, Vibrierendes nähert sich langsam, aber unaufhaltsam meiner Stirn.
Ich erkenne nicht gleich, was es ist. Dazu ist die Perspektive zu ungewöhnlich. Klar ist aber, dass etwas, das mir nichts, dir nichts mein Abiturzeugnis zerstört, wild vor meinem Gesicht hin- und herzuckt und dabei » GROOOOOOOOOOOOOOOOOH !!!« macht, nichts Gutes bedeuten kann, und so kontere ich, noch bevor das Wort Presslufthammer in meinem Kopf Form angenommen hat, den Angriff mit einem Gegenlaut.
» HNNJAAAAAAAAAAAAAAAAAARGHHH !!!« Das hat Folgen. Der zuckende Stahlmeißel verschwindet wieder in der Wand, und ich höre durch das Loch eine kernige Stimme mit osteuropäischem Akzent.
»Chef, da wohnt noch Leut!«
D RECKSACK
Unsere Küche sieht ebenfalls ganz normal aus für eine 5er-Männer- WG in einem schwer sanierungsbedürftigen Altbau in Berlin-Mitte. Keine Hängeschränke, keine Spülmaschine, dafür sind wir zu cool. Wir bewahren unser bisschen Geschirr in einem alten Werkstattregal auf, warmes Wasser kommt aus einem DDR -Boiler, der zuverlässig einmal pro Monat kaputtgeht, und in der Ecke steht ein großer Fernseher, den wir mit den Zehen bedienen, seit sich Tobi vor einem Jahr auf die Fernbedienung gesetzt hat. Am Kopfende unseres Küchentischs hängt eine penibel auf Stand gehaltene Bundesliga-Stecktabelle und darüber ein Poster von Rambo, der gerade mit seinem Maschinengewehr in den Dschungel ballert und dazu ein Gesicht macht, als wäre er drei Tage nicht mehr auf dem Klo gewesen.
Über Rambos Kopf hat Tobi den aus einem ZDF -Werbeplakat ausgeschnittenen Schriftzug »Melodien für Millionen« hingeklebt. Gonzo sagt immer, wir sollten es abhängen, weil sich der Gag inzwischen abgenutzt hat. Aber Gonzo findet auch, dass wir die Küchenwände mit einem Hauch von Azurblau abtönen, die Fußleisten als Komplementärkontrast Hummerrot streichen und beim Deckenstuck Petrol als Akzentfarbe nehmen sollten.
Tobis Exfreundin Amelie findet dagegen, dass hier erst mal eine Grundreinigung fällig wäre und dass Gonzo seinen Kinnbart abrasieren soll. Da hat sie im Prinzip auch recht, aber was die Grundreinigung betrifft, sollte man sich auch nicht unnötig Mühe machen. Wenn wir irgendwann sowieso die Küche neu streichen, müssen wir ja eh alles ausräumen, und dann kann man das mit der Grundreinigung im gleichen Aufwasch erledigen. Das muss man auch mal im Großen und Ganzen
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