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Schief gewickelt (German Edition)

Schief gewickelt (German Edition)

Titel: Schief gewickelt (German Edition)
Autoren: Matthias Sachau
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Jedenfalls ist unsere Küche wirklich ganz normal. Wenn man von der Profi-Bierausschank-Anlage absieht, die Hendrik neben unserer Spüle installiert hat, nachdem unser illegaler Club im Keller letztes Jahr vom Bezirksamt geschlossen worden war.
»Alter Schwede, der Wohlgemuth.«
»Der meints jetzt wirklich ernst.«
»Kann man wohl sagen.«
Ach ja, mein Beinahe-Tod von gestern früh. Fast schon wieder vergessen. Wir haben uns eben schnell an das GROOOOOOOOOOOOOH !!! der Presslufthämmer gewöhnt.
»Hm, ja, der wills jetzt wissen, der Wohlgemuth.«
»So siehts aus. Kann ich das letzte Brötchen haben?«
»Von mir aus, Tobi.«
Herr Wohlgemuth ist unser Vermieter. Er hat vor zwei Jahren das Haus von den greisen Alteigentümern gekauft und sich in den Kopf gesetzt, damit reich zu werden. Das ist vom Ansatz her durchaus nachvollziehbar, weil charmanter Altbau mit zwar maroder, aber immerhin Stuckfassade in bester Lage in Berlin-Mitte, umzingelt von Werbeagenturen, Designläden, Galerien, Promi-Wohnungen und so weiter. Und unsere gesamte Fünfer-Männer-WG, einschließlich aller Exmitbewohner und Angehöriger, würde Herrn Wohlgemuth das Reichwerden ja auch von Herzen gönnen. Das Problem ist aber, er glaubt, dass er nur reich werden kann, wenn wir hier ausziehen. Und das Problem verschärft sich noch einmal dramatisch durch die Tatsache, dass Herr Wohlgemuth komplett wahnsinnig ist. Einfach geduldig darauf zu warten, dass wir irgendwann wegsterben oder uns, dank sozialen Aufstiegs, was Besseres suchen als eine Wohnung mit Außenwand-Gasheizungen, undichten Fenstern und versifftem DDR -Badezimmer, liegt ihm nicht. Es muss unbedingt der radikale Schnitt sein.
Noch bevor er den Kaufvertrag unterschrieben hatte, geisterte er schon hier durchs Treppenhaus und erzählte jedem Mieter, der es hören wollte, was für eine Bauhölle er hier bald rund um uns herum entfachen würde. Und nachdem die ersten Feiglinge aus dem Seitenflügel ausgezogen waren, ließ er in den leer gewordenen Wohnungen Taten folgen. Solange die Presslufthammerorgie nur im Seitenflügel wütete, war das noch gut auszuhalten, aber irgendwie schaffte er es, nach und nach, auch immer mehr Mieter aus dem Vorderhaus zu vergraulen.
Und letzte Woche ist blöderweise auch noch unser Stockwerksnachbar Heinz, ein überaus sympathischer Bildhauerfreak, ausgezogen, nachdem ihn Herr Wohlgemuth mit einer juristisch äußerst fragwürdigen 128-Prozent-Mieterhöhung erschreckt hat. Seitdem kann der kirgisische Schwarzarbeitertrupp direkt neben uns sein Unwesen treiben, und der Presslufthammerdurchbruch in mein Zimmer gestern war wohl, realistisch betrachtet, nur ein kleiner Vorgeschmack.
»Tja, ne, der Wohlgemuth.«
»Der gibts uns jetzt mit der ganz groben Kelle.«
»Da kennt der kein Pardon.«
»Könntest du mir noch mal die köstliche Himbeermarmelade reichen?«
Köstliche Himbeermarmelade. Tobi kann so zärtlich sein, wenn er vom Essen redet. Deliziöser Fruchtjoghurt, in höchstem Maße gaumenschmeichelnde Pommes frites, schmetterlingsflügelzarte Leberwurst. Und sobald er einen Leckerbissen in der Hand hält, sieht er ihn, genau wie Sesamstraßen-Krümelmonster, kurz mit halb verliebtem, halb irrem Blick an (nur dass sich seine Pupillen dabei nicht ganz so wild drehen), und dann schlingt er ihn mit einer Urgewalt herunter, die selbst dem grobmotorischen Blaupelz Respekt einflößen würde – auch wenn Tobi dabei nicht ganz so laut »Njaaamjamjamjamjam!« macht wie er.
»Tja, der Wohlgemuth, ne.«
»Der meints jetzt wirklich …«
»Und tschüss!«
»Gonzo, du Drecksack!«
Zu spät. Gonzo hat den täglichen Nach-dem-Frühstück-Wettlauf zu unserer Toilette gewonnen. Unserer einzigen Toilette. Ohne Tageslicht, ohne Lüftung. Ich gehe in mein Zimmer, packe meine Sporttasche und versuche, nicht an das zu denken, was Tobi und mich gleich erwartet. Ein Glück, dass wenigstens Francesco in der Arbeit und Hendrik vor drei Tagen ausgezogen ist, sonst wäre alles noch viel schlimmer.
F USSELBART
Bis zu Arnes Wohnung in der Eichendorffstraße ist es ein Katzensprung. Ich gehe zu Fuß und lasse mir die Sporttasche gegen die Beine schlackern.
Wie das WG -Leben ohne Hendrik auf Dauer sein wird, kann ich mir irgendwie noch nicht richtig vorstellen. Er war unser Handwerksgenie. Und nicht nur das, er war auch von einem Tatendrang beseelt wie ein Exleistungssportler, der nicht vernünftig abtrainiert hat. So ein Mann spielt in einem Haushalt, in dem dauernd was kaputt geht,
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