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Schieber

Schieber

Titel: Schieber
Autoren: C Rademacher
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der Halle finden
sich zahlreiche Fußspuren im Staub. Kann sein, dass der Junge oder sein Mörder
dort herumgelaufen sind. Vielleicht waren es auch die Arbeiter, die das Opfer
entdeckt haben. Oder jemand ganz anderer. Wird auf jeden Fall kaum möglich
sein, Genaueres zu identifizieren.«
    Stave betrachtet den Boden. »Sieht so aus, als sei der Junge um die
Bombe herumgegangen. Auf allen Seiten sehe ich Abdrücke. Sein Mörder aber ist
in gerader Linie von der Tür bis zum Blindgänger gegangen.«
    »Kaltblütig«, murmelt Schupo Ruge.
    »Das haben Kindermörder so an sich«, erwidert Stave, eine Spur
Schärfe in der Stimme.
    »Aber unser Unbekannter ist in dieser Hinsicht trotzdem ein
besonderes Exemplar«, ergänzt der Pathologe. »Der ist noch abgebrühter als die
übliche Mordbande.«
    Stave betrachtet den Toten und zwingt sich, nicht darüber
nachzudenken, dass er noch ein Kind vor sich hat. Vierzehn Jahre, schätzt er.
Dünn, aber nicht unterernährt, sehnig, die Haut tief gebräunt, aber an den
Armen von Krätze entstellt. Verfilztes, längeres braunes Haar, braune Augen.
Die alten Stoffschuhe, eine kurze Hose – wohl ein dunkelgrün eingefärbtes Teil
einer HJ-Uniform, im Bund ein selbst gemachter Gürtel aus einem Hanfseil. Ein
kragenloses Hemd, viel zu weit, wie es die Werftarbeiter tragen, schmutzig, am
Rücken eingerissen.
    Der Junge liegt mit dem Rücken auf dem Blindgänger, als wäre er eine
Lehne. Sein Kopf ist nach hinten gekippt, die offenen Augen starren zu dem Loch
hoch, das die Bombe ins Dach schlug. Gesäß auf dem Betonboden, Beine von sich
gestreckt, Arme abgewinkelt: Die Linke liegt auf den Stabilisierungsflügeln der
Bombe, die Rechte ruht in seinem Schoß.
    Der Oberinspektor beugt sich dichter über das Mordopfer. »Zeige- und
Mittelfinger der rechten Hand sind gelb«, murmelt er. Er holt seinen Block
hervor und macht sich eine erste Notiz.
    »Tabakspuren. Ziemlich jung für einen starken Raucher«, ergänzt
Czrisini. »Selbst ich habe später damit angefangen.«
    Jetzt erst betrachtet Stave die Wunde: Ein großer, braunrot
eingetrockneter Fleck beschmutzt Brust und Bauch des Jungen, eine Blutkruste
bedeckt die Bombe, dunkle Flächen haben sich auf dem Boden ausgebreitet.
    »Eine Stichwunde vermutlich«, sagt der Pathologe. »Genau werde ich
das selbstverständlich erst wissen, wenn ich dem Jungen das Hemd ausgezogen
habe. Aber sehen Sie.« Er deutet auf das besudelte Kleidungsstück.
»Blasenartige Einschlüsse in der Blutfläche. Das sind ausgetretene Sekrete.
Starkes Indiz dafür, dass Magen oder Speiseröhre verletzt worden sind.«
    »Große Mengen Blut überall. Der Fundort ist auch der Tatort«, sagt
Stave.
    Czrisini nickt zustimmend. »Das meine ich: besonders kaltblütig. Der
Mörder sticht sein Opfer auf einer scharfen Bombe nieder. Ein Wunder, dass der
Junge im Todeskampf nicht gegen den Zünder gekommen ist.«
    »Keine voreiligen Schlüsse«, mahnt der Oberinspektor. »Vielleicht
war unser Mörder ganz im Gegenteil so panisch, dass ihm selbst dieses Risiko
gleichgültig war. Oder er hat ursprünglich gar nicht vorgehabt, den Jungen
niederzustechen. Vielleicht trifft er ihn am Blindgänger, es kommt zum Streit,
im Affekt zieht er das Messer, ohne überhaupt nachzudenken.«
    Czrisini deutet auf die Hände des Toten. »Unverletzt, keine
Kampfspuren. Der Junge sieht aus, als sei er ein Herumstreuner. Kräftig ist er
auch. Der hätte sich gewehrt, wenn er geahnt hätte, dass jemand gleich auf ihn
einstechen wird. Spricht gegen einen Streit.«
    »Noch etwas?«
    »Der Mörder ist höchstwahrscheinlich Linkshänder.« Der Pathologe
deutet auf die fächerförmigen Blutstreifen auf der Bombe. »Man sieht noch den
Verlauf der Blutstropfen. Wenn wir davon ausgehen, dass der Mörder vor seinem
Opfer stand, dann kam sein Stoß mit einem Messer oder einem anderen scharfen
Gegenstand von links.«
    Stave streift sich dünne, schwarze Handschuhe über. Dann befühlt er
vorsichtig die Hosentaschen des Toten, tastet auch das Hemd ab. Kein Geld,
keine Papiere, was ihn nicht überrascht. Ein Schraubenzieher mit Holzgriff und
scharf gefeilter Spitze, versteckt in der rechten Hosentasche.
    Stave pfeift anerkennend, als er den Gegenstand betrachtet. »Eine
Waffe.«
    »Wohl kaum die Tatwaffe. Aber das werden wir schnell herausgefunden
haben«, sagt Czrisini und hustet. Er sieht so aus, als brauchte er dringend
eine Zigarette. Seine Hände zittern, er blickt sich ungeduldig um.
    »Gleich gehört er Ihnen,
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