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Schieber

Schieber

Titel: Schieber
Autoren: C Rademacher
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erwischt oder ihn verscheucht. Ich möchte wissen,
wer der Junge ist. Wo er wohnt – oder wo er sich versteckt, wenn er kein Heim
hat. Und was er hier zu suchen hatte, in einer leeren Lagerhalle mit einer
englischen 500-Pfund-Bombe mittendrin.«
    Nachdem Stave die Arbeiter mit einem Kopfnicken
weggeschickt hat, schleicht er sich mit seinen Begleitern zurück zur Deckung am
Kran, wo die schweißnassen Schupos regungslos sitzen und kaum zu atmen wagen.
    »Warum liegt der Tote wohl auf der Bombe?«, fragt er Czrisini.
    Der Pathologe hustet – was alle Polizisten erschrocken
zusammenfahren lässt – und zuckt dann mit den Achseln. »Ich werde mir den
Jungen gleich näher ansehen, vorausgesetzt, der Kollege von der Feuerwehr
erledigt seine Arbeit ordentlich.«
    »Sieht so aus, als wolle uns der Mörder die Ermittlungen
erschweren«, sinniert Stave, »indem er sein Opfer auf eine scharfe Bombe legt.«
    »Oder als wolle er uns ein Zeichen geben«, erwidert Kienle.
    Als ihn der Oberinspektor überrascht anblickt, lächelt der Fotograf
verlegen. »Ein toter Junge auf einer englischen Bombe – vielleicht will uns der
Täter damit irgendetwas sagen? Eine Botschaft vielleicht? Oder eine Art
Handschrift?«
    »Wenn das eine Handschrift ist, dann soll er beim nächsten Mal
gefälligst auf einer Schreibmaschine tippen«, sagt der Oberinspektor.
    Der Feuerwerker gibt seinem Kollegen, der bei den Polizisten in
Deckung liegt, einige Handzeichen, dann holt er einen länglichen Gegenstand aus
seiner Tasche, der aussieht wie ein auf Unterarmgröße zusammengeschrumpfter
Dampfhammer. Vorsichtig setzt er ihn am hinteren Ende des Blindgängers an,
zwischen den Stabilisierungsflügeln.
    »Was macht er da?«, fragt Stave. Unwillkürlich flüstert er wieder.
    »Das ist ein Langzeitzünder, der steckt hinten an der Bombe«,
erwidert der Feuerwehrmann. »Scheißdinger. Davon haben die Engländer mehr als
100.000 herabregnen lassen, aber jedes siebte ist ein Blindgänger. Die werden
noch meine Enkel in Atem halten – falls ich beim Entschärfen lange genug
aufpasse, um Enkel zu haben.«
    Er deutet auf das seltsame Werkzeug seines Kollegen. »Eine
Raketenklemme, das einzige Teil, mit dem Sie einem Langzeitzünder beikommen
können. Bei einem normalen Zünder schlägt eine Nadel auf einen Treibsatz und
das Ding geht hoch. Bei Langzeitzündern wird diese Nadel von Stahlfedern
gespannt wie in einem Flitzebogen. Doch zwischen ihr und dem Treibsatz steckt
ein Plättchen aus Zelluloid. Schlägt die Bombe auf, wird zunächst aus einer
Glasampulle Aceton freigesetzt. Die Chemikalie zersetzt das Zelluloid langsam.
Irgendwann ist dieses Plättchen aufgelöst, die Nadel kommt frei – und Peng!
    Das Tückische bei diesen Dingern ist, dass Sie nicht hineinsehen
können. Vielleicht ist das Aceton nie freigesetzt worden, das Zelluloid hält
die Nadel noch immer am Platz. Vielleicht ist das Plättchen aber schon längst
weg, und die Nadel könnte jederzeit vorschnellen, klemmt aber irgendwo. Dann
reicht tatsächlich ein Husten, und sie schlägt zu. Außerdem sind die Zünder
noch so eingestellt, dass Sie sie nicht einfach aus der Bombe herausdrehen
können. Versuchen Sie das, geht sie ebenfalls hoch.«
    »Wer denkt sich bloß so etwas aus?«, murmelt Stave.
    »Dieselben Tüftler, die danach die Raketenklemme erfinden. Das ist
eine Art Schraubenschlüssel, mit dem Sie den Zünder herausdrehen können.
Allerdings viel schneller, als je ein Mensch dazu in der Lage wäre. Und vor allem
schneller, als ein Zünder reagieren kann. Im Innern der Klemme wird mein
Kollege gleich einen kleinen Sprengsatz zünden. Damit wird der Zünder
schlagartig herausgedreht. Die Fliehkräfte in dem rotierenden Zünder sind dabei
so groß, dass alle mechanischen Komponenten für einen Augenblick
zusammengepresst werden. Die Nadel schnellt deshalb erst mit einer winzigen
Verzögerung vor – zu spät, um die Bombe noch explodieren zu lassen. Denn in
diesem Augenblick ist der Zünder schon draußen. Meistens jedenfalls.«
    Der Oberinspektor wirft ihm einen zweifelnden Blick zu. »Hört sich
an wie Russisches Roulette.«
    Der Feuerwehrmann hebt die Achseln. »Kann sein, dass der Zünder beim
Einschrauben schon verkantet worden ist. Dann würde ihn selbst eine
Raketenklemme nicht schnell genug freibekommen. Kann auch sein, dass der
Treibsatz einer Raketenklemme nicht richtig zündet und das Ding zu langsam ist.
Keiner weiß das. Die Feuerwerker, denen so etwas passiert, können
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