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Scherbenparadies

Scherbenparadies

Titel: Scherbenparadies
Autoren: Inge Loehnig
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gefehlt, auf seine SMS antwortete sie nicht und sie ging auch nicht ans Handy. Vor einer Viertelstunde hatte er es auf dem Festnetzanschluss versucht. Der Anrufbeantworter hatte sich eingeschaltet.
    Mit einer Mischung aus Unruhe, Sorge, Sehnsucht und einer diffusen Angst im Magen machte er sich nun auf den Weg zu ihr.
    Der Wind war schneidend kalt geworden. Das Thermometer vor einem Autohaus zeigte minus zwei Grad an. Eine gleichförmig schwarzgraue Wolkenschicht bedeckte den Himmel.
    Eine Ahnung von Schnee lag in der Luft, als Nils vor dem Haus parkte, in dem Sandra mit Vanessa wohnte. Allein. Von ihrer Mutter im Stich gelassen. Es zog ihm das Herz zusammen. Wie tapfer sie war, wie stark. Ich bin schrecklich patent. Und sehr klug, dachte er. Man muss dich einfach lieben. Wie schrecklich von deiner Mutter, dass sie das nicht erkannt hat. Und wie unendlich traurig.
    Er stieß die Eingangstür auf und wartete im Vorraum auf einen Lift. Beide befanden sich ganz oben, im zwölften Stock. Das dauerte. Unruhig trat er von einem Fuß auf den anderen, blickte hinaus, über den Grünstreifen, auf den Gehweg und sah plötzlich ein bekanntes Gesicht. Nein, zwei. Janina steuerte mit Vanessa an der Hand auf den Eingang zu. Was hatte das zu bedeuten? Instinktiv trat er einen Schritt vom Fenster zurück. Etwas stimmte nicht. Das Bild war falsch und noch etwas… wenn Janina ihn hier sah und dann Vermutungen anstellte.
    Rasch bog er um die Ecke und verbarg sich im Schatten hinter den Aufzügen. Er mochte Janina nicht. Ständig suchte sie Augenkontakt, lief mit tief ausgeschnittenen Oberteilen herum, die mehr Einblick gewährten, als gut war, und aus denen neuerdings Dessous in vielfältigen Farben blitzten. Vermutlich dachte sie, das sei sexy, doch auf ihn wirkte es nur billig und aufdringlich. Neulich war sie im Gedränge an ihn gedrückt worden. Es war ihm unangenehm gewesen und wieder fragte er sich, ob dieser Bodycheck Zufall oder Absicht gewesen war.
    Kalte Luft und Straßenlärm schwappten in den Eingangsbereich, als sie mit Vanessa an der Hand eintrat.
    Der Lift kam unten an. Quietschend öffnete sich eine Tür. »Sandra hat mir vorhin eine SMS geschickt. Sie macht noch einen Spaziergang im Wald. Du musst dir also keine Sorgen machen, dass sie nicht daheim ist. Sie kommt später.«
    Vanessa nickte und stieg in den Lift ein. »Ist gut.«
    Die Türen schlossen sich, polternd fuhr der Aufzug nach oben.
    Nils stand noch immer verborgen in der Nische hinter den Aufzügen. Etwas stimmte hier ganz und gar nicht. Janina und Sandra waren nicht befreundet. Weshalb vertraute Sandra ihr Vanessa an?

42
    Janina atmete erleichtert auf. Kleine Kinder waren anstrengend, einfach nur anstrengend und nervig. Nie würde sie welche haben. Außer vielleicht… mit Nils wäre das was anderes. Wie süß sie aussehen würden. Mit seinen schönen Augen, seinen Wuschelhaaren. So ein kleiner Knirps von Nils… und ein kleines Mädchen. Ein sehnsüchtiger Seufzer entwischte ihr. Wie hübsch sie alle vier aussehen würden. Ein glückliches Paar, eine schöne Familie.
    Außerdem wäre das auch ganz praktisch. Männer, die Kinder hatten, verließen ihre Frauen nicht einfach so.
    Bis es aber so weit war… Sie verscheuchte ihre Träumereien. Bis es so weit war, musste noch ein lästiges Hindernis aus dem Weg geräumt werden.
    Sven fraß ihr aus der Hand. Nachdem sie miteinander geschlafen hatten… Bei dem Gedanken verzog sie den Mund. Jedenfalls hatte sie ihm hinterher weiter die Ohren vollgeheult, wie schrecklich Sandra sei, wie sehr sie von ihr gemobbt wurde, dass sie die ganze Klasse gegen sie aufhetzte und sie sogar schon kurz davor gewesen sei, sich einfach vor die U-Bahn… an dieser Stelle hatte sie den Blick gesenkt und den Kopf im Kissen vergraben. Ganz großes Drama. Es hatte sich gelohnt. Sven war so aufgebracht gewesen, so stinkwütend. Und wieder hatte er angeboten, Sandra fertigzumachen, sie krankenhausreif zu prügeln.
    Da hatte sie sich an ihn gekuschelt. »Neulich hast du gesagt, du würdest alles für mich tun. Alles.«
    »Ja, klar, Sternchen.«
    »Du hast es geschworen.«
    Bedächtig hatte er genickt. »Hab ich. Dazu stehe ich.«
    »Sie will, dass ich mich umbringe«, schluchzte sie an seiner Brust. »Sie wird keine Ruhe geben, bis sie das geschafft hat.«
    »Das hat sie gesagt?« Er hob ihr Kinn hoch, sah ihr in die tränennassen Augen. Alle Muskeln seines Gesichts waren angespannt, es wurde ganz weiß. Langsam setzte er sich auf.
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