Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Scherbenmond

Titel: Scherbenmond
Autoren: Bettina Belitz
Vom Netzwerk:
François unschädlich machen zu können, musste ich ihn schwächen. Was gibt es Schlimmeres für einen Mahr als menschliche Panik und Misstrauen, als bodenlosen Zorn? Zorn ist der schärfste Gegner aller Träume. Wer zornig ist, träumt nicht, kann kein Glück empfinden. Misstrauen macht euch wachsam. Es raubt euch jegliche innere Ohnmacht. Panik zehrt euch so aus, dass ihr nicht einmal mehr tagträumen könnt. Ich brauchte eine Überdosis von alldem, die ich ihm im richtigen Augenblick verabreichen musste. Nämlich dann, wenn er am hungrigsten war und alles nehmen würde, was nur annähernd menschlich roch. Und du bist nun mal Spezialistin für überdosierte Gefühle.«
    Eine Weile saß Colin still vor mir, die langen Wimpern gesenkt, als würde er die Nacht Revue passieren lassen. Die kleine Falte in seinem Mundwinkel verriet mir, dass es ihn schmerzte. Mich auch.
    »Das war das größte Risiko. Dir nur so viel Wut abzuzapfen, wie du verkraften konntest. Jene Wut, die dir schadete, und jene Angst, die dich und ihn vernichten würde. Aber wenig genug, um dein Gleichgewicht zu erhalten. Denn ohne Zorn und Wut ist kein würdiges Leben möglich. Auch nicht ohne Angst. Es war ein Gang über dünnes Eis. Ich musste dich ganz genau einschätzen, durfte mir keinen Fehler erlauben. Aber wie ich sehe, habe ich den fruchtbaren Boden deines Zorns nicht vollkommen ausgelaugt. Er wuchs sehr rasch wieder nach. Du bist eben fern allen Mittelmaßes, was deine
    Gefühle betrifft. Du wirst es oft verfluchen, aber für den Kampf war es ein Segen.«
    Er rieb sich mit den Handflächen über die Stirn. Ich war zu bestürzt, um auch nur ein einziges klares Wort hervorzubringen.
    »Ellie ... ich musste es tun, auf die Gefahr hin, deine Liebe für immer verdorren zu lassen. Nur so hatte ich eine Chance. Ich habe dich angelogen, dir aufgelauert, Albträume geschickt, all das ...« Wieder rieb Colin sich über das Gesicht. »Ich habe dir einen der miesesten Männer dieses Planeten als Karatetrainer organisiert...«
    »Oh, er war gar nicht so übel.« Na wunderbar. Ich konnte doch noch sprechen. »Das waren meine schönsten Stunden in den vergangenen Wochen. Er ist kein schlechter Trainer, aber unzureichend ausgestattet. Untenrum. Er kompensiert es mit Frauenfeindlichkeit.«
    Colin hob den Kopf und sah mich konsterniert an. Er wusste nicht, ob er grinsen durfte oder nicht. Ehrlich gesagt wusste ich es auch nicht. Ich schwankte sekündlich zwischen blindem Wüten und nachtschwarzem Humor, wollte ihm wechselweise die Augen auskratzen und ihn von oben bis unten abküssen. Vorzugsweise oben.
    »Wann gedenkst du eigentlich, dich an mir zu rächen, Lassie?«, fragte er lockerer, als es die Situation eigentlich erlaubte. Er wusste das auch, aber es verschaffte mir neuen Auftrieb. »Willst du mich zappeln lassen? Du hattest ein paar nette Koseworte für mich auf Lager. Wie war das mit der feigen Sau? Und du hast meine Eier angezweifelt...«
    »Ja, genau. Die auch. Nutzlose Dinger.« Ich gab ihm einen sanften Rempler in die Seite und stellte glücklich fest, dass er sich nicht mehr wie Trockeneis anfühlte. »Dann warst du verantwortlich für die Schritte auf dem Dach?«
    Colin verzog den Mund und konnte sich ein kurzes Schmunzeln nicht verkneifen. »War auch für mich eine neue Erfahrung, mitten in der Nacht auf feuchten Ziegeln zu hocken und mit einer Universalfernbedienung rumzuspielen. Das Video aber war Zufall, einer der wenigen genialen in meinem schnöden Leben. Lullaby von The Cure. Sollte man übrigens schon einmal gehört haben. Ich hätte dich gerne für deine fatale Unkenntnis gerügt. Umso besser hat es jedoch seinen Zweck erfüllt.«
    Ich musste lachen und meine Erheiterung gewann Oberhand über meine Wut und die Demütigung, die ich während des Kampfes empfunden hatte. Wie hatte mein Vater immer zu sagen gepflegt? Humor ist die beste Medizin.
    »Dann hast du die negativen Gefühle aus mir herausgesaugt und ihm verabreicht?«, vergewisserte ich mich interessiert.
    Colin nickte. »Ich wusste nicht, ob es funktioniert. Aber seine Gier wurde ihm zum Verhängnis. Er schlang deinen Gefühlscocktail mit einem einzigen Gurgeln in sich hinein. Ich muss aber sagen, dass ich ihn vorher völlig verwirrt hatte, ebenso wie dich. Das war notwendig, um deine Angst auf die Spitze zu treiben.«
    »Aber du selbst hast vergiftet gewirkt, sehr sogar. Hat er etwas mit dir getan? Hast du jetzt etwas von ihm in dir?« Diese Vorstellung war ekelhaft.
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher