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Scherbengericht: Roman (German Edition)

Scherbengericht: Roman (German Edition)

Titel: Scherbengericht: Roman (German Edition)
Autoren: Germán Kratochwil
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Yin-Yang-Tattoo in ihrer enthaarten linken Leiste. Bisher hatte er nur die blasse Lotosblüte zwischen ihren Schulterblättern gekannt. Schnell wandte er sich dem Badezimmer zu, floh ihren Gutenachtkuss, überhörte ihr »Night, night, master!«, hockte sich auf den Klodeckel. Es war feuchtwarm hier drinnen von ihrem unendlichen Duschen; der Spiegel weiterhin beschlagen.
    Bereits im Federbett vergraben, rief Katha ihm noch zu: »Morgen wird mir dieser Roberto Williams vorführen, wie er mit seinen Walen spricht! Er wird ihnen von meiner Empörung berichten können, von meinem Hass auf ihre Killer, meinem tiefen Mitgefühl und so. Wir müssen uns bei diesen Tieren ganz besonders entschuldigen. Jawohl, Herr Dr. Holberg! Schließlich haben wir es auch hier mit einer diskriminierten Minderheit zu tun. Ihr Thema! Unsere Botschaft muss einfach rüberkommen. Du weckst mich morgen rechtzeitig, okay?«
    Er versicherte es ihr; sie solle nur schlafen, er müsse noch ein paar Sachen erledigen. Er verließ den Raum, Laptop und Papiere unterm Arm, und suchte die Telefonkabine.
    Die Verbindung mit Quemquemtréu kam sofort zustande. Rotraud Lagler war am Apparat. »Martin, wie schön dass Sie uns …« Ob er zu dieser späten Stunde noch mit seiner Mutter sprechen könne, unterbrach er ihren voraussehbaren Wortschwall. Im Hintergrund hörte er Stimmen und Musik, es klang wie ein Wiener Walzer.
    Rotraud lachte. »Aber ja, wissen Sie, wir sitzen gerade mit den Königsbergern in der Küche und spielen Mensch ärgere Dich nicht … Und staunen Sie, Herr Doktor: Ich bin am Gewinnen! Komm, Clementine! Es ist dein Martin.«
    Das Kichern verlor sich und Martin vernahm plötzlich das schwere, tiefe Atmen seiner Mutter. Es hörte sich unheimlich nahe an. »Na endlich. Was ist los, mein Sohn, wo bist du?«
    »Mama, Katha und ich sind am Meer. Heute übernachten wir in Puerto Pirámides, auf der Halbinsel Valdés …«
    »Aber das ist doch am anderen Ende der Welt! Ist euch etwas passiert?«
    Siebenhundert Kilometer trennen die patagonische Küste von der Ortschaft in den südlichen Kordilleren nahe der Grenze zu Chile: neun Autostunden, tausend Meter Höhenunterschied, eine mit Felsbrocken übersäte Steppe, dann kahle Tafelberge; schließlich die immensen Wälder vor den schneebedeckten Gipfeln. Martin sah die Wohnküche auf der Farm lebendig vor sich, die ersten Sommergäste von Rotraud und Treugott Lagler, wie sie um den großen Esstisch vor dem Brettspiel saßen und um ihr Leben würfelten.
    »Nein, gar nichts ist passiert. Buenos Aires haben wir wie geplant im Morgengrauen verlassen. Vorgestern habe ich Katha aus der Klinik geholt. Ich habe ihr aber fest zusichern müssen, hier und in Gaimán zu unterbrechen. Sie ist jetzt auf einem Lady-Di-Trip. Der Arzt hat unserem Umweg zugestimmt, schon aus therapeutischen Gründen.«
    »Also erklär mir jetzt bitte sofort diese neueste Spinnerei dieses Mädchens!«, rief die Mutter in barschem Befehlston.
    »Mama, ich erzähle dir alles, sobald wir uns sehen. Das würde jetzt zu lang werden. Morgen früh fahren wir aufs Meer hinaus, um Wale zu sichten. Es gibt da einen Fremdenführer, der mit ihnen sprechen kann. Jedenfalls behauptet er das. Und dann geht es gleich weiter nach Gaimán, zur Princess of Wales.«
    »Jetzt hör doch auf damit!«, unterbrach ihn die Mutter. »Mach diese Verrücktheit nur nicht wieder mit, Martin. Was versprichst du dir davon? Ein sauberes Paar: das durchgedrehte Tschapperl und ihr depperter Begleiter, der Herr Professor …« Der Mutter schien in der aufgeregten Rede die Luft auszugehen. »Wann seid ihr endlich bei uns?«, keuchte sie.
    »Übermorgen, Mama, übermorgen. Ich habe morgen Abend noch ein ganz wichtiges Treffen mit der Mapuche-Gemeinde in Huemules; es geht um Landeigentum. Und du weißt ja, an der Silvesterfeier bei den Laglers liegt mir nichts. Deinen Freund Königsberg habe ich sowieso erst vorige Woche wieder besucht.«
    Eine Pause. Im Hintergrund weiterhin dieser Walzer – den kannte er zur Genüge. Wiener Blut, Wiener Blut …
    »Na, dann immer hin zu deinen Indianern. Die gehören wenigstens zu deinem Beruf.«
    Ihr Ringen um Luft hörte sich beängstigend an. War er nicht zu direkt, zu grob gewesen mit der alten Dame? Aber sie hatte noch genug Schwung, um fortzufahren. »Dass du mir ja nicht bei meinem Geburtstag fehlst. Am ersten Ersten Zweitausend. Mein neunzigster – und sicherlich mein letzter … Hoffentlich!«
    »Mama, noch lange nicht. Wie geht
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