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Schenkel, Andrea M

Schenkel, Andrea M

Titel: Schenkel, Andrea M
Autoren: Bunker
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richtig, immer nur halbe und halbseidene Sachen.
    Und ich Idiot sitze jetzt in der Scheiße. Dabei wollte ich nur schnell den Tresorschlüssel holen, danach das Geld und weg. Und jetzt?
    Die Tür ist zu, von innen ist sie nur mit dem Schlüssel zu öffnen, der steckt jedoch noch außen, verdammt. Mit jedem Atemzug wird die Luft knapper, wer weiß, wie lange sie noch ausreicht. Na ja, eventuell hilft auch der dünne Spalt unter der Kellertür.
    Langsam richte ich mich auf, taste mich an der Eisentür hoch. Die Oberfläche fühlt sich kalt und rau an. Mit den Fingern gleite ich über abgesplitterten Lack, über Rostbeulen, bis ich aufrecht stehe. Mein ganzer Körper ist steif, schmerzt. Immer mit den Fingerspitzen an der Metalltür, drehe ich mich zum Raum. Ich spüre die Tür in meinem Rücken, in dieser totalen Finsternis habe ich vollkommen die Orientierung verloren. Die Tür in meinem Rücken ist mein Rettungsanker. Ich überwinde mich, trete ins Dunkle, mache kleine, trippelnde Schritte in die Richtung, in der ich die Tür zur Küche vermute. Würde ich nicht den Boden unter meinen Füßen spüren, ich wüsste nicht, wo oben und unten ist. Ich reiße meine Augen auf, obwohl sie mir nicht das Geringste nützen. Ein Schritt vor den anderen. Immer Ferse an Schuhspitze. Einer nach dem anderen, keine Panik, bleib ruhig, keine Panik. Wo ist diese verdammte Wand, der Raum kann doch nicht so groß sein. Scheiße, Scheiße! Ich strecke die Arme ganz weit nach vorne, mit den Fingerspitzen erfühle ich den Türrahmen, fahre daran entlang, langsam, bedächtig. Immer mit der Ruhe, keine Panik. Das hier ist der Türrahmen, hier hindurch, ich bin in der Küche.
    Gleich links von mir ist die kleine Küchenzeile, ich taste mich entlang. Die Armatur. Neben der schlechten Luftzufuhr könnte das Wasser ein Problem sein. Hat seit Jahren keiner gebraucht, Vater am wenigsten. Der Bunker hat ihm nicht viel genützt, kein Luftangriff, und stattdessen? Eine jahrelange Inhaftierung wegen Diebstahls und Gewaltdelikten, wie es in der Amtssprache so schön heißt. Gewalttätig war er. Vor allem zu Mutter, weswegen er allerdings nicht einsaß. An meinem sechsten Geburtstag schlug er Mutter halb tot. Immer wieder in ihr Gesicht. Anfangs hielt sie ihre Hände davor, gab dann auf, was Vater nicht davon abhielt, weiter auf sie einzudreschen. Immer wieder mit der geballten Faust ins Gesicht. Bis die Brauen bluteten, die Augen zuschwollen, die Lippen fingerdick waren. An einen Grund kann ich mich nicht erinnern. Wahrscheinlich gab es keinen.
    Er verschwand für einige Tage, wir waren froh. Ich betupfte auf Mutters Anweisung ihr Gesicht mit kaltem Wasser. Das Gesicht verformte sich jedoch immer weiter zu einer clownartigen Fratze, ich muss lachen, wenn ich daran denke. Ich hocke in der Scheiße und lach mich tot über etwas, dass eigentlich zum Weinen ist. Ich bin der gleiche Idiot und Verlierer, wie Vater einer war.
    Ich öffne den Wasserhahn. Ein Wasser-Luft-Gemisch platzt heraus. Mehr Luft als Wasser, kurz darauf nur noch ein Rinnsal, Tropfen, aus. Gut, werde ich also verdursten. Die Luft scheint zu reichen. Essen müsste im Schrank sein, vor Jahren habe ich mal eine der goldglänzenden Dosen geöffnet. Pumpernickel. Trocken, aber essbar. Ich taste nach der Küchenschranktür. Öffnen, schlag dir den Kopf nicht an der Tür. Greife vorsichtig hinein. In dieser Dunkelheit wird jeder Handgriff langsamer, zögerlicher. Ich strecke mich, tatsächlich, hier hinten sind noch einige Dosen. Auch kleinere, da müsste Fleisch drin sein. Ich rüttle am Wasserhahn, er tropft wieder. Ich schlage dagegen. Das Tropfen wird stärker. Eine Tasse darunter. Ich brauche eine Tasse oder ein Glas. Hier. Mit beiden Händen befühle ich die Tasse, dann den Wasserhahn. Alles dauert, hoffentlich hört das Tropfen nicht auf. So, geschafft! Ich warte, zähle die Tropfen. Kann mich nicht konzentrieren, fange immer wieder von vorne an. Das Geräusch der in die Tasse fallenden Wassertropfen ändert sich, je mehr Wasser in der Tasse ist. Ich prüfe mit dem Zeigefinger, wie weit die Tasse bereits gefüllt ist. Sie ist halb voll. Ich umfasse sie mit beiden Händen, führe sie zum Mund, nippe – schal, aber ich trinke es. Wieder ein kleiner Sieg, ich werde nicht verdursten! Hey, Vater, falls du mich hören kannst, ich bin nicht so ein Verlierer wie du! Schau ruhig her, wo immer du jetzt auch sein magst! Arschloch!
    Ich lehne am Spülbecken und schaue ins Dunkle. Selber Arschloch!
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