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Schauen sie sich mal diese Sauerei an

Schauen sie sich mal diese Sauerei an

Titel: Schauen sie sich mal diese Sauerei an
Autoren: Jörg Nießen
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und trank Bier, er schaute kurz auf, bemerkte uns, nahm einen großen Schluck und erklärte mit dem schönen Wort »Reparaturbier« die gesamte komplexe Situation. Meinen Kollegen Peter muss ich Ihnen noch kurz vorstellen. Peter ist Gewichtheber aus Leidenschaft, all seine Gedanken kreisen um Hanteln, Gewichte, Körperfettwerte und Muskelaufbau. Mit anderen Dingen beschäftigt sich Peter kaum. Diese einseitige Interessenlage führt dazu, dass Peter auf den ersten Blick nur über unterdurchschnittliche geistige Ressourcen verfügt. Auf die Frage »Wie heißt Angela Merkel mit Vornamen?« dürfen Sie keine schnelle Antwort erwarten. Verstehen Sie mich nicht falsch, Peter ist nicht dumm, er weiß halt nur wenig. Die Qualitäten von Peter werden in anderen Momenten deutlich. Wenn sie einen 140 kg schweren Patienten aus dem 4. Obergeschoss schleppen, dann fragen Sie sich nicht mehr, ob Peter aus Schillers Glocke rezitieren kann. Wie dem auch sei, so langsam sollten wir uns mal um Jupp kümmern. »Was ist denn überhaupt passiert, und wie ist Ihr Name?«, begann ich ganz klassisch mein Patientengespräch. »Misch nenne se Jupp, un et is nix passiert!«, gab Jupp mürrisch zurück. Volker, der Wirt, mischte sich ungefragt ins Geschehen ein: »Besoffen vom Hocker gefallen ist er.« »Halt du doch, halt du doch et Maul, du has doch keine, keine Ahnung, du Bierschubse, du has ja nich mal ne richtige Schankkonsistenz«, erwiderte Jupp lallend, ganze Sätze fielen ihm mittlerweile schwer. Herrlich, nicht wahr? »Schankkonsistenz« - eine derartige sprachliche Schöpfungsgabe ist nur Besoffenen Vorbehalten. Bemerkenswert ist aber auch das Zusammenspiel zwischen Gehör und Gehirn der Zuhörer. Bis zur Sinnlosigkeit verzerrte, gelallte Wortgebilde werden trotzdem verstanden, wahrscheinlich wird der Schwachsinn mit schon einmal Gehörtem abgeglichen und das Ähnlichste als Übersetzung angenommen. Falls Sie sich öfter mit Besoffenen unterhalten müssen: Ein gutes Training ist das Hören von alten Langspielplatten mit falscher Geschwindigkeit. »Sie haben eine große Platzwunde am Hinterkopf, die aufgrund möglicher Infektionsgefahr ärztlich versorgt werden muss.« Dieser Satz klang mir in unserer Situation etwas zu geschwollen. Ich entschloss mich daher zu folgender Aussage: »Jupp, du hes ne ordentliche Ratsch im Kappes, kum mit nach et Spital, dat mot jenieht wede!« Übersetzt heißt der Satz: »Josef, du hast einen ordentlichen Riss im Kopf, komm mit ins Krankenhaus, das muss genäht werden.« Jupp holte tief Luft: »Du bis in Ordnung, Jung, aber isch kum nit mit!« »Jupp, sei vernünftig, die Wunde säubern und nähen, kurze Röntgenkontrolle vom Schädel, und in einer Stunde sitzt du wieder hier«, versuchte ich, Jupp umzustimmen. Er blieb hart und wiederholte nur: »Du bis in Ordnung, Jung, aber isch kum nit mit!« Auch die restlichen Gäste der Kneipe versuchten, Jupp zu überzeugen, uns ins Krankenhaus zu begleiten. Einer der Segelfreunde fand besonders motivierende Worte: »Jupp, fahr mit, und wenn du gleich den BH von der Ambulanzschwester mitbringst, geb ich einen aus.« Peter wurde es zu blöd, er versuchte, die Situation auf seine Weise zu lösen. Er fasste Jupp kräftig am Arm und sagte: »So, mein Freund, dann wollen wir mal!« Doch er hatte nicht mit Gegenwehr gerechnet. Jupp drehte seinen Arm aus Peters kräftigem Griff und brüllte: »Freund, isch geb dir gleich Freund -isch hau dir die Kartoffel vom Hals, du Klappstuhl.« Der Ton wurde rauer. Ähnlichkeit mit einem Klappstuhl hatte Peter sicherlich nicht, mit einem angetrunkenen Jupp war auch nicht zu spaßen. Dennoch hätte ich bei einer körperlichen Auseinandersetzung keine Zweifel an Peters Überlegenheit gehabt. Die Gäste in der Kneipe warteten gespannt, ob die Situation jetzt eskalieren würde. Die Luft knisterte, aber Peter war cool genug, um keine Schlägerei vom Zaun zu brechen. Leider war das zarte Band der Freundschaft zwischen Jupp und uns nun zerrissen, er würdigte uns keines Blickes mehr. Wir waren in einer schwierigen Situation. Auf der einen Seite musste Jupp mit ins Krankenhaus, eine Platzwunde dieser Größenordnung sollte medizinisch versorgt werden. Infektionen, z. B. Tetanus (Wundstarrkrampf), musste vorgebeugt werden. Ein schweres Schädel-Hirn-Trauma, womöglich eine Hirnblutung, war auszuschließen. Nüchtern sieht das auch jeder Patient ein, nach dem neunten Bier schaut die Welt dann schon wieder anders aus. Als
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