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Schattenwesen

Schattenwesen

Titel: Schattenwesen
Autoren: S Rauchhaus
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im zweiten Stock auch der Fall war! Eine Schrecksekunde lang sah ich mich mit Anna in einem Zimmer übernachten – oder sogar zusammen im Doppelbett liegen. Was für eine Horrorvision! Doch wir konnten beruhigt sein. Unter dem Dach war zwar alles etwas enger als auf der luftigen Galerie, aber es gab zwei hübsch eingerichtete Zimmer und ein – Gott sei Dank modernes – Bad. Die Zimmer waren trotz der Dachschräge groß genug. Ein Bett, ein Schrank, ein Schreibtisch und sogar ein Fernseher standen in jedem Raum. Beide rochen etwas muffig, als wären sie eine Weile nicht benutzt worden, aber es gab ja Fenster. Alles bestens!
    Herr Nachtmann ließ uns allein und die Stille tat mir gut. Die Tür hinter all dem Neuen schließen zu können! Ich öffnete das schräge Dachfenster, stellte mich auf das Bett und sah hinaus. Zu meiner Rechten lag die Stadt, und ich fand, dass jede Stadt – selbst diese – am Abend mit ihren Lichtern einfach schön war. Auf der linken Seite konnte ich nicht viel erkennen. Ein Feld? Eine Wiese? Aber sie war von geraden grauen Linien durchzogen, manche einen halben Meter, einige wenige bis zu zwei Meter hoch. Was mochte das sein? Ein Bewässerungssystem? Ich lehnte mich noch etwas weiter hinaus und plötzlich wurde es mir klar: Das da draußen waren die Überreste einer Befestigungsanlage. Dieses Haus stand auf den Ruinen einer Burg! Beim Anblick der uralten Steinmauern, die im Mondlicht düster aus dem Gras ragten, prickelte esauf meiner Haut. Na, das musste ich mir bei Gelegenheit genauer ansehen!
    Jetzt war jedoch erst mal der Koffer dran. Das war schon immer meine Art gewesen, mich an eine neue Umgebung zu gewöhnen: Revier abstecken. T-Shirts und Hosen räumte ich in den Schrank, die Kosmetiktasche ins Bad und schließlich fand ich das kleine Bild, das ich zwischen die Kleidung gelegt hatte. Paps hatte es mir zum letzten Geburtstag gemalt. Es war einer seiner Scherze gewesen: eine naive, etwas kitschige Schneelandschaft mit Schlittschuhläufern. Solche Gemälde hatte er immer gehasst, und seit ich ihm einmal gestanden hatte, dass ich diese friedlichen Motive mochte, hatte er mich damit aufgezogen. Dennoch hatte er sich viel Mühe gegeben. Ich konnte unter den Schlittschuhläufern sogar mich und meine Kindheitsfreunde erkennen, mit denen ich früher immer durch den Wald gezogen war. Meine Dschungel-Piraten, wie Paps uns genannt hatte.
    Auf meiner Suche nach einem geeigneten Platz dafür entdeckte ich einen kleinen Spiegel, den ich von der Wand abnahm, um stattdessen die Schlittschuhläufer aufzuhängen. Nun fühlte ich mich schon etwas mehr zu Hause!
    Zehn Minuten später klopfte Anna an der Tür. Sie sah frisch geschminkt und äußerst tatendurstig aus. Ganz im Gegenteil zu mir, vermutete ich. Aber ich hatte meine Zeit auch nicht genutzt, um aufzurüsten.
    Auf dem Weg nach unten trafen wir Jolanda, die wohl gerade in ihr Zimmer gehen wollte. Sie wirkte beinahe ängstlich wie ein kleines Kind.
    »Hallo«, sagte ich freundlich. »Willst du mit uns runterkommen zum Essen?«
    Ihr Kopfschütteln war nur eine schwache Andeutung, dann riss sie die Tür zu ihrem Zimmer auf und wischte hinein wie eine Maus, schnell und trotz ihrer Eile beinahe lautlos.
    »Irgendwie finde ich sie süß«, sagte Anna und kräuselte die Nase, als wolle sie das Mäuschen nachmachen.
    »Ehrlich?«, murmelte ich. Ich fand sie eher noch seltsamer als vorhin. Ihr Zimmer war stockdunkel gewesen. Hätte nicht zumindest der Mond oder eine Straßenlaterne ein bisschen Licht spenden müssen? Es sei denn, sie hatte die Rollläden unten. Jolanda war absolut unsüß. Und sie wurde begleitet von einer tiefen Melancholie, die mir beinahe wehtat.
    Das Esszimmer neben dem Salon war klein und wurde fast vollkommen von einem gewaltigen Tisch ausgefüllt. Zwei Plätze waren mit weißen Stoffsets, dem blau-weißen Keramikgeschirr und Silberbesteck eingedeckt.
    Zwei Seiten des Raums bestanden komplett aus Fenstern. Tagsüber war es dadurch sicherlich hell und freundlich, doch jetzt blickte nur die Nacht durch die von innen angeleuchteten Fensterstreben herein.
    Anna und ich setzten uns an die gedeckten Plätze, als Ruben Nachtmann, Cyriel und Gabriel hereinkamen und weiter vorn Platz nahmen.
    »Essen Sie nichts?«, fragte ich erstaunt.
    Ruben Nachtmann schüttelte den Kopf.
    »Wir sind ein Haufen von Einzelgängern und das gemeinsame Familienessen hat sich bei uns nicht durchgesetzt. Wir gehen direkt in die Küche, wenn wir Hunger haben
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