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Schattenwanderer

Schattenwanderer

Titel: Schattenwanderer
Autoren: Alexey Pehov
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auszurichten vermochte), begrub das Pflaster unter sich, das unter dem Gewicht zahlloser Karren abgesunken war.
    Alles blieb still.
    So still wie in der Gruft eines reichen Mannes, wenn ihr ein Haufen kleiner Diebe einen Besuch abgestattet hatte. Das Schild klapperte, der Wind blies, die Wolken zogen langsam über den Nachthimmel. Aber ich rührte mich immer noch nicht vom Fleck, blieb mit dem Schatten des Gebäudes verschmolzen stehen. Intuition und Lebenserfahrung ließen mich in die Stille hineinlauschen. Nicht einmal eine völlig ausgestorbene Straße kann derart leise sein, niemals. Nachts muss es Geräusche geben. Ratten, die im Müll rascheln, ein Betrunkener, der schnarcht und den Taschendiebe bereits ausgenommen hatten, bevor er in irgendeine Nische sackte. Das Schnarchen aus den Fenstern der steingrauen Häuser, ein dreckiger Köter, der durch die Dunkelheit schleicht. Der schwere Atem eines frischgebackenen Räubers, der in Erwartung seines Opfers das Messer mit schweißfeuchter Hand umklammert. Der Lärm in den Läden und Werkstätten, in denen nachts gearbeitet wird. Doch nichts von alldem war in der dunklen, unter einem Nebelbett liegenden Gasse zu hören. Nichts, nur Stille und Finsternis.
    Der Wind strich nun heftiger über die Dächer der alten Gebäude, jagte die schweren grauen Wolken wie eine Herde riesiger Schafe über den Himmel. Ausgelassen zerzauste er mir das Haar, aber ich wagte es nicht einmal, mir die Kapuze überzustreifen.
    Bei Sagoth! Was braute sich hier zusammen?
    Als habe der ruhmreiche Gott aller Diebe mein Gebet erhört, schien er mir geschärfte Hellhörigkeit zu schenken, denn nun vernahm ich Schritte. Die hastigen Schritte eines Menschen, die nicht einmal der graugelbe Nebel schluckte. In der Nische im Haus gegenüber nahm ich im Dunkel eine flüchtige Bewegung wahr.
    Wer versteckte sich da? Ich spähte in die tintenschwarze Nacht. Nein, nichts. Ich hatte mich getäuscht, witterte Gefahr, wo sie gar nicht existierte. Dennoch hielt mich eine energische Hand unverändert zurück und verlangte: Warte! H’san’kor soll mich fressen! Was geht hier vor?
    Die Schritte klangen immer lauter. Der Mann näherte sich aus der Straße, in die vor fünf Minuten die Stadtwache eingebogen war. Ich rührte mich nicht und versuchte, mit dem Schatten zu verschmelzen.
    Schnellen Schrittes, fast schon rennend, bewegte sich der Mann in meine Richtung. War er ein Dummkopf oder ein Held, sich allein in die Dunkelheit hinauszuwagen? Ersteres vermutlich, denn Helden leben in unserer Welt nicht lange. Allerdings gilt das auch für Idioten – sofern es sich nicht um die Narren unseres ruhmreichen Königs handelt. Welche dringenden Angelegenheiten hatten diesen Mann bewogen, in eine Straße einzubiegen, in der nicht einmal Öllampen brannten – denn welcher Lampenanzünder würde sich schon hierher trauen? Wir leben nicht mehr in den Stillen Zeiten, als jedes Kind in tiefster Nacht noch gefahrlos von einem Ende Awendums zum anderen spazieren konnte, ohne dass ihm etwas geschah.
    Der Unbekannte kam immer näher. Ein großer Mann in guter, ja, prachtvoller Kleidung. Eine Hand ruhte auf dem Griff eines soliden Schwerts. Vielleicht ein Höfling …
    Die Wolken zogen erneut über den Himmel, schoben sich vor die Sterne, verwandelten die Dunkelheit in undurchdringliche Finsternis. Selbst als der Mann auf meiner Höhe war, konnte ich sein Gesicht nicht erkennen. Er bemerkte den reglos im Schatten lauernden Schatten natürlich nicht. Ich bräuchte bloß die Hand auszustrecken und könnte ihm den prallen Beutel vom Gürtel fingern. Aber ich bin kein kleiner Taschendieb mehr, der sich zu dergleichen herabließe. Die Zeit der Jugend war lang vorbei, inzwischen hatte mich das Leben gelehrt, mich bisweilen nicht zu rühren, ja, nicht einmal tief Luft zu holen.
    In der Nische gegenüber geriet das Dunkel ein weiteres Mal in Bewegung, ballte sich zu einer schwarzen Blume des Todes. Ich erstarrte in eiskaltem Entsetzen. Dunkel riss sich aus dem Dunkel, nahm die Form eines geflügelten Wesens an, eines Dämons mit gehörntem Schädel, in dem blutrote schmale Augen funkelten. Wie eine Lawine im Zwergengebirge rollte er über den hastenden Mann hinweg und begrub ihn unter seinem kolossalen Gewicht. Der Mann jammerte gleich einer verletzten Katze auf und versuchte, sein Schwert zu ziehen. Doch vergeblich. Das Wesen hatte sich fest in ihn verkrallt. Dann stieg der Dämon in den nächtlichen Wolkenhimmel auf, das frische
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