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Schattentraeumer

Schattentraeumer

Titel: Schattentraeumer
Autoren: Bettina Belitz
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um ihn zur Vernunft zu bringen und weiter vorwärtszutreiben, während ich Ellie mit meinem linken Arm dicht bei mir hielt und die Zügel nur noch locker in meiner Rechten lagen.
    Mit derselben plötzlichen Willkür, in der das Unwetter über den Wald gezogen war, schwand es auch wieder. Schon während der ersten Meter, die Louis und ich zusammen mit Ellie zurücklegten, ebbten die Böen ab und der Regen verwandelte sich in ein gleichmäßiges, friedliches Plätschern. Der Wald troff vor Nässe, Nebel stieg zwischen den Bäumen auf und es begann, betörend süß nach feuchten Blüten zu duften, doch das alles tangierte mich nicht, denn mich beherrschten alleine die Gefühle, die Ellies Seele in Aufruhr hielten.
    Fast war mir, als könnte ich sehen, wie sie durch ihre Venen schossen und im Takt ihres Herzschlags vibrierten, doch irgendetwas stimmte dabei nicht, war anders als sonst. Mein Hunger war zu jenem bösartigen Schmerz mutiert, gegen den ich selbst mit Meditation nicht dauerhaft ankam, aber nicht etwa deshalb, weil ich zu lange nichts zu mir genommen hatte. Erst heute Nacht war ich wieder dem Wolf begegnet und er hatte mich trinken lassen. Der Hunger protestierte gegen das, was ich hier tat, zu Recht, doch in seiner Einfältigkeit konnte er nicht jenes Wunder sehen, dem ich langsam gewahr wurde – erst irritiert, dann abwehrend, dann vollkommen fasziniert.
    Ihre Angst galt gar nicht mir. Ihr Rücken lehnte fast entspannt an meiner Brust, auch wehrte sie sich in keinster den Menschen so eigener Weise gegen den Arm um ihre Taille. Doch ihre Schenkel spannten sich bei jedem Galoppsprung an und immer wieder starrte sie argwöhnisch auf Louis’ im Wind flatternde Mähne, zuckte sogar zusammen, wenn er schnaubte. Sie hatte keine Angst vor mir. Sie hatte Angst vor meinem Pferd.
    Wie konnte es sein, dass sie mich nicht fürchtete? Gab es das überhaupt – dass ich ein Mädchen nicht manipulieren musste, um ihm seine Angst zu nehmen? Oder stand sie noch unter dem Schock des Blitzeinschlags?
    An meinem Verhalten konnte es kaum liegen, ich gab mich kauzig wie immer, eine alte, bewährte Strategie, die den Menschen die Neugierde nahm, in mein Gesicht zu schauen und zu ahnen, was sie nicht ahnen sollten. Im Zweifelsfall war ich lieber unhöflich als dämonisch.
    Der Bach schwoll so rasch ab, dass die Wege entlang der Ufer wieder begehbar wurden, ich hätte Ellie längst absetzen können, doch ich tat es nicht, solange sie nicht darum bat, und nahm einige weitere Biegungen, in denen ich versuchte, das unbarmherzige Stechen in meinen Eingeweiden zu ignorieren und einen Beweis für das zu finden, was nicht sein konnte. Angst vor Louis, aber nicht vor mir – das war eine verkehrte Welt, sinnlos und abstrus, aber je länger ich sie bei mir hielt, desto unmissverständlicher wurden ihre Signale. Sie schien nicht einmal zu spüren, welche Kälte unter meiner Haut lauerte, die nur vorgab, warm zu sein – was ich Louis’ und ihrer eigenen Hitze zu verdanken hatte. Ich musste sie unbedingt wieder freigeben, bevor das Eis in mir sich seinen Weg an die Oberfläche verschaffte. Sie sollte glauben, dass ich einer von ihnen war. Ein Mann, von mir aus ein Junge, mein Gesicht hatte sie schließlich nicht gesehen und konnte daher mein Alter nicht schätzen, und dabei sollte es auch bleiben.
    Ohne ein Wort nahm ich die nächste flache Böschung hinauf auf den Pfad, der sie nach Hause bringen würde, und setzte sie auf dem Waldboden ab. Nicht unsanft, aber auch nicht besonders gefühlvoll. Ich wollte ihr keinen Grund geben, sich nach mir umzudrehen oder sich gar zu bedanken. Als sie ihren Blick dennoch hob, wandte ich mein Gesicht ab und senkte mein Kinn, sodass sie allenfalls das aberwitzige Spiel meiner Haare betrachten konnte.
    »In Zukunft öfter mal nach oben schauen«, riet ich ihr und war einmal mehr dankbar für die Reinheit meiner Stimme, denn sie verband sich vortrefflich mit der unterkühlten Arroganz, die ich an den Tag legte, um zu verhindern, dass sie auch nur einen Gedanken an mich verschwendete, sobald sie in Sicherheit war. Nach leidenschaftlichen, strahlenden Rettern musste sie woanders suchen.
    Bevor sie einen Schritt auf mich zu machen konnte, um einen Blick auf mein Gesicht zu erhaschen, wendete ich Louis und trieb ihn von ihr fort, obwohl mein Hunger zornig dagegen ankämpfte – nun, da ihre Angst vollends verflogen war und sie einen Duft verströmte, der mich schwindlig werden ließ, wollte er sie um jeden Preis
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