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Schattentraeumer

Schattentraeumer

Titel: Schattentraeumer
Autoren: Bettina Belitz
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haben. Ich musste jagen, jetzt sofort. Auf die Nacht konnte ich nicht warten und auch nicht darauf, dass die Tiere mich suchten und nicht ich sie. Heute musste ich es auf die rücksichtslose Art und Weise tun und ich schämte mich bereits jetzt dafür.
    Doch das Brüllen in mir verstummte schlagartig, als plötzlich ihre kräftige und doch so mädchenhafte Stimme durch das Rauschen des Wassers drang, das uns umgab.
    »Ja, vielen Dank auch und schönen Tag noch!«
    Ihre Worte troffen vor Ironie, waren aber zugleich von einer fast verzweifelten Zuneigung erfüllt, die irregeleitet sein musste, anders ging es nicht. Doch alleine das Kratzbürstige darin sorgte dafür, dass meine Mundwinkel zuckten und sich darauf dieses tief amüsierte Lächeln stahl, das ich sehr lange nicht mehr gespürt hatte. Schon immer hatte mich dieser merkwürdige Umstand irritiert und auch hoffen lassen – dass ich Sinn für Humor hatte, sogar lachen konnte wie ein Mensch. Nicht böse und gehässig, sondern frei und mit einem hellen, heiteren Flirren in meinem Kopf. Genau das geschah auch jetzt. Mein Lächeln verwandelte sich in ein Lachen, perlend und so melodiös, dass Louis es sofort mit einem sonoren Schnauben beantwortete. Dieses Weibsstück brachte mich tatsächlich zum Lachen.
    Trotz allem, was sie durchgemacht hatte, stand sie aufrecht. Zersaust und wild wie eine Gewitterhexe schleuderte sie mir pure Ironie hinterher – es waren nicht nur ihre Gefühle, die ich verschlingen wollte, es war auch ihr Geist. Sie war stark. Und der Jammer dabei war, dass sie nicht die geringste Ahnung hatte, wie stark sie war.
    Doch wie immer siegte der Hunger über den scheuen Humor in mir. Zielsicher und ohne jegliches Zögern steuerte ich einen Hirsch an, der, aufgeschreckt vom Unwetter, durchs Unterholz trabte, und verging mich an dem, was ihn so lebendig und magisch machte. Louis blieb abwartend in der Nähe stehen, er kannte dieses Spiel schon, was es mir nicht leichter, sondern nur schwerer machte. Er sollte das nicht sehen müssen.
    Erst, als ich satt und träge auf den Waldboden sank und der Hunger mich aus seinen Klauen entließ, gelang es mir, die Fährte zu Ellie wieder aufzunehmen. Jetzt war ich stark genug, um das zu tun, was ich mir seit heute Mittag verboten hatte. Ich ließ meine Instinkte frei und entschwebte meinem Körper, um Ellie in ihrer Gänze wahrnehmen zu können, schwarz-weiß, wie immer, wenn ich Menschen aus der Ferne beobachtete, doch schöner konnten Grautöne kaum sein. Ihre Konturen schimmerten beinahe silbrig, wenn sie sich bewegte.
    Sie marschierte gerade zu ihren Eltern in den Wintergarten des Hauses, doch sobald sie ihn betrat, wurde das Bild in meinem Geist plötzlich unscharf und vage. Ein schwerer, penetranter Geruch drang in meine Nase. Unwillkürlich zuckte ich zurück und verlor den Kontakt zu ihr. Orchideen? Verflucht, ihre Mutter hatte ganz offensichtlich ein Faible für Orchideen. Dutzende mussten dort stehen. Was fanden Menschen an Orchideen nur so reizvoll? Sie rochen bestialisch und sahen überdies obszön aus. Und sie hielten mich fern. Orchideen ließen das verkommen, was unsereins nährte. Vielleicht ahnte ihre Mutter das. Wenn ihr Wesen nur in Facetten dem ihrer Tochter ähnelte, hatte sie eine starke Intuition.
    Trotzdem versuchte ich, Ellie weiterhin zu erspüren, und fand sie wieder, als sie die Tür zu ihrem Zimmer schloss. Danke, Ellie, du hast Geschmack, dachte ich erleichtert. Ihr Zimmer war frei von Blumen und Pflanzen. Und zu groß für sie. Zu viel Raum für zu viele Träumereien. Aber es war ein Dachzimmer, nah am Himmel, weit weg von ihren Eltern, die ich immer noch nicht sehen konnte. Sie musste ganz alleine da oben sein. Nun öffnete sie ein Fenster. Jetzt das zweite … das dritte.
    Bis sie mitten im Raum stehen blieb, ein wenig verwirrt angesichts der Erinnerung an das, was sie gerade erst erlebt hatte. Und doch war sie so voller Leben und innerer Stärke, dass sich Speichel in meinem Mund sammelte und mein Atem schwer wurde. Ich wollte sie dort heimsuchen. Wenn sie schlief. Wenn sie träumte … und dann …
    Nein. Nein, das tue ich nicht, holte ich mich mit meinem immer gleichen Beschwörungsmantra in die Realität zurück und schnitt die Verbindung zu ihr mit einem schmerzvollen Stöhnen ab. Mein Blick flackerte, weil er sie festhalten wollte. Vergeblich. Um mich herum war nur der Wald, vertraut, aber menschenleer.
    Ich durfte das nicht. Es war nicht fair ihr gegenüber. Ich musste
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