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Schattensturm

Schattensturm

Titel: Schattensturm
Autoren: Andreas Saumweber
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Form eines Thorshammers, das um seinen Hals hing. Er zwinkerte ein paar Mal mit den Augen, um seine Gedanken in eine andere Richtung zu lenken. Doch es gelang ihm nicht. Zu machtvoll, zu grauenerregend war die Präsenz des Dämons, war seine Existenz mit den Gedanken einmal angestreift. Wolfgang hatte ihn gesehen, aus nächster Nähe, eine feurige Kreatur, die alles verbrannt hatte, was ihr vor die flammenspeienden Nüstern gekommen war. Halb Utgard-Hamburg hatte sie in der Nacht ihrer Beschwörung in Schutt und Asche gelegt und dabei so viel Chaos angerichtet, dass die verschiedenen Schadensmeldungen und Opferzahlen noch immerwüst auseinanderlagen – und all dies, nachdem das Monster in einem epischen Zweikampf einen
zweiten
Dämon aus der Stadt vertrieben hatte.
    Falls die Sachsen in dieser Nacht auf das Monster stießen, waren sie tot, das musste man akzeptieren. Vielleicht würden sich zwei oder drei schwimmend retten können, doch das hätte weder etwas mit Geschick noch mit Verstand zu tun, sondern allein mit dem Glück, von dem Dämon übersehen zu werden. Die Gefahr war Herwarth bewusst gewesen, als er den Raubzug geplant hatte – aber weil die Kreatur seit der Nacht der Feuersbrunst nicht mehr gesehen worden war, hatte er beschlossen, das Risiko einzugehen. »Das Scheißvieh«, hatte er laut und selbstüberzeugt behauptet, »hat in einer Nacht soviel Energie verbrannt, wie ein hundertjähriger Geist in zehn Jahren nicht aufbringen kann. Er wird sich ein paar Wochen erholen müssen!« Wolfgang hätte der Argumentation gerne widersprochen – natürlich musste die Kraft des Dämons irgendwo seine Grenzen haben, aber ob sie
jetzt
bereits erreicht waren oder ob das Monster morgen noch Berlin abfackeln könnte, konnte Herwarth vermutlich ebenso wenig abschätzen wie irgendjemand sonst –, aber er hatte es sich verkniffen. Er kannte Herwarth gut genug, um zu wissen, dass der Fürst ohnehin nicht auf ihn gehört hätte.
    Aber die Nacht blieb ruhig, Schwarz in Grau, Grau in Schwarz, ohne jegliche Spur eines roten Schimmers, der die Anwesenheit von Magie in den Nebeln angezeigt hätte. Langsam, sehr langsam ließ der Gestank nach Fäulnis und Altöl nach. Schließlich erkannte Wolfgang vor sich zur Linken die Einmündung eines breiten Stromes.
    »Süderelbe voraus«, meldete er. »Etwa hundert Meter.«
    Kurz darauf erreichten sie den Zusammenfluss. Mit einem Mal war der ölige Nebel verschwunden, der Fäulnisgestank verblasen, als die neue Strömung das Boot erfasste. Sie hatten die Schattennebel hinter sich gelassen.
    Erst als das Boot sicher im Strom lag, gab Herwarth neue Befehle:»Ruderer backbord langsam zurück! Steuerbord langsam voran!« Mit leisen Rufen gab er den Männern den Takt vor.
    Ohne Vorwärtsschub, sich mit der Strömung treiben lassend, rotierte das Langschiff langsam um die eigene Achse, bis sein Bug genau entgegen der Strömung stand.
    »Alle vorwärts!«, rief Herwarth.
    Ein Ruck ging durch das Boot, als es sich nun mit lauterem Plätschern gegen die Strömung stemmte. Bald schon begannen die Ruderer heftiger zu atmen, als sie der schnellere Rhythmus des Fürsten außer Puste brachte. Erneut war Wolfgang froh, nicht selbst rudern zu müssen. Eine solche Anstrengung hätte er in dieser Nacht vermutlich nicht mehr zustande gebracht.
    Als ihm kalter Festlandswind ins Gesicht bließ, zog er eine Mütze aus der Tasche seines Umhangs und zog sie über seinen Kopf. Er beschloss, zumindest den Zauber für seine verschärften Sinne vorerst fallenzulassen. Er glaubte nicht, so fern von Hamburg noch auf Trolle zu stoßen, und vor Phantomen –
oder dem Dämon
– würde ihn auch das Magiegespür warnen.
    Ein paar Sterne sowie eine dünne Mondsichel tauchten zwischen den Wolken am Himmel auf, während sich das Boot langsam stromaufwärts kämpfte. In einem Wäldchen am Ufer buhte ein Kauz, von irgendwoher kam das Platschen eines gesprungenen Fisches. Haribert, einer von Wolfgangs vier Überlebenden, begann laut zu schnarchen, als ihn die Anspannung des Schattennebels verließ und er in tiefen Schlaf fiel. Als ob dies ein Startsignal gewesen wäre, erwachten auch die Frauen aus ihrer Angststarre und versuchten, es sich auf dem engen Raum etwas bequemer zu machen. Leise Unterhaltungen kamen auf.
    »Wolfgang?«, rief Herwarth von hinten.
    »Herr?«
    »Leg dich schlafen. Wenn uns der Dämon fressen wollte, hätte er uns längst angegriffen.«
    »Wie befohlen.« Wolfgang war müde genug, um dem Befehl, ohne
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