Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schattensturm

Schattensturm

Titel: Schattensturm
Autoren: Andreas Saumweber
Vom Netzwerk:
groß darüber nachzudenken, Folge zu leisten. Er wickeltesich ganz in seinen Umhang, drehte sich im Bug herum und zog die Kapuze tief ins Gesicht. Müde schloss er die Augen.
     
    »Wir sind da! Wacht auf, Herr!«
    Wolfgang zwinkerte verschlafen, bevor er sich die Kapuze aus dem Gesicht streifte und sich in eine sitzende Position aufrichtete. »War irgendetwas?«, fragte er. Im nächsten Moment schalt er sich selbst dafür. Man hätte ihn kaum schlafen lassen, wenn etwas passiert wäre.
    »Nichts, Herr.« Der Mann – einer der Ruderer hatte ihn geweckt, es war keiner von denen, die mit ihm im Schildwall gekämpft hatten – nahm wieder auf seiner Bank Platz.
    Im Osten hatte die Morgendämmerung begonnen. Dünne Nebelschleier hingen über dem Wasser, während am grauen Himmel die letzten Sterne langsam verblassten. Die Wolken aus der Nacht hatten sich größtenteils verzogen.
    Etwa fünfhundert Meter vor dem Boot lag eine mit einem Palisadenwall umringte Insel, auf deren Mitte sich ein steinerner Turm erhob. Vom Südufer war ein Damm aufgeschüttet, der bis zur Insel reichte und sie mit dem Land verband. Der Damm schirmte den Fluss darunter von der Strömung ab, so dass er einen idealen Anlegepunkt bot. Sieben Langschiffe lagen dort bereits Seite an Seite. Wachen patrouillierten darüber, zwei weitere waren auf dem Dach des Turmes zu sehen.
    Als das Boot aus der Strömung war, gab Herwarth den Befehl, die Ruder einzuziehen. Die restlichen Meter glitten sie auf dem Schwung ihrer bisherigen Fahrt dahin, der schließlich den Bug des Boots das Ufer hinaufschob.
    Aus dem Tor kam ungefähr ein Dutzend Männer gelaufen, um ihnen zu helfen. Herwarth begann sofort, Befehle zu verteilen – es gab Verwundete und Tote zu versorgen, sie hatten einen kleinen Berg Ausrüstung erobert, die Frauen und Kinder waren einzuquartieren, bis sie mit dem nächsten Versorgungstrupp nach Süden in die sächsischen Dörfer gebracht werden konnten. Keiner dieser Befehlebetraf Wolfgang. Er stieg über die Bordwand und kletterte den Damm hinauf.
    Oben angekommen, kam ihm Æthelbert, der Kommandant der Harburg, entgegen. Wasserblaue Augen über dicken Tränensäcken sahen Wolfgang fragend an. »Wie ist es gelaufen?«
    »Das kommt darauf an, ob du bereit bist, das Ganze mathematisch zu sehen«, gab Wolfgang unwirsch zurück. Er hatte keine Lust, darüber zu sprechen.
    Æthelberts Augen zogen sich skeptisch zusammen, doch er fragte nicht weiter. Stattdessen rief er zum Boot hinab: »Fürst Herwarth, willkommen zurück. Ich habe ein paar gute Neuigkeiten für Euch!«
    Wolfgang hielt inne. Gute Nachrichten waren selten geworden in diesen Tagen.
    »Was?«, blaffte Herwarth.
    »Wir haben eine Gefangene.«
    »So. Warte.« Herwarth gab einem seiner Männer noch einen letzten Befehl, bevor er schließlich von Bord ging und zu ihnen auf den Damm geklettert kam. »So«, meinte er dann noch einmal, diesmal mit deutlich leiserer Stimme. »Was für eine Gefangene?«
    »Eine der Kelten, die in der Nacht des
storthings
geflohen sind.«
    Wolfgang sog scharf die Luft ein. Die große Versammlung vor einem knappen Monat, bei der die Germanen eigentlich einen Waffenstillstand mit den Kelten und den anderen Stämmen hatten schließen wollen, war ein Fiasko gewesen. Ein Attentäter hatte in der Nacht versucht, Gudrun zu töten. Im daraus entstandenen Chaos hatten die germanischen Wachen die Halle angegriffen, in der die Gesandten der anderen Stämme untergebracht waren. Es hatte Verwundete gegeben und auch Tote, so dass sich die diplomatische Situation deutlich verschlechtert hatte, statt sich zu bessern. Ein paar Gesandte hatten es geschafft, im Chaos von der Harburg zu fliehen, darunter auch der Attentäter und seine mutmaßlichen Helfer.
    Es war, als ob Wolfgangs Müdigkeit nie existiert hätte. Plötzlichhörte er in seinem Kopf die aufgebrachten Stimmen seiner Ahnen:
    Töte sie!,
schrien sie und warfen sich wutentbrannt gegen das Gefängnis, das Wolfgang in seinem Kopf für sie errichtet hatte.
Wir wollen ihr Blut sehen! Töte sie! Töte sie!
    Wolfgangs Herz begann, wild in seiner Brust zu schlagen.
Bring sie um!,
brüllte eine durchdringende Stimme,
Auge um Auge!
Er spürte kaum, wie sich seine Hand um das Heft des Kurzschwerts an seiner Seite legte und sich fest daran festkrallte.
Gudrun, du hast sie geliebt,
keifte eine,
sie haben sie angegriffen, jetzt ist sie tot!
Es war nicht der Attentäter, der Gudrun umgebracht hatte, dachte der immer kleiner werdende
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher