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Schattenlord 6 - Der gläserne Turm

Schattenlord 6 - Der gläserne Turm

Titel: Schattenlord 6 - Der gläserne Turm
Autoren: Claudia Kern
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hätten nichts gegen Details.«
    Nidi wurde sichtlich größer. Es gefiel ihm, im Mittelpunkt zu stehen. Während die Sonne langsam über den Himmel wanderte, erzählte er vor allem Finn von Freyas Ehebrüchen, die ihren Ehemann fast in den Wahnsinn trieben, von Odins eifersüchtiger Raserei und Thors oft unglücklichen Liebesabenteuern. Er schmückte die Geschichten mit so vielen Einzelheiten aus, dass Laura sich fragte, woher er das alles wusste. Dass er in Wirklichkeit ein Zwerg war und nur wie ein Elf aussah, so, wie er ständig behauptete, glaubte sie zwar immer noch nicht, aber sie beschloss, ihn irgendwann einmal nach seinem Wissen zu fragen.
    Er war bei einer besonders ausgeklügelten Intrige Lokis angekommen, als Milt ihn mit einer Geste zum Schweigen brachte. »Hört ihr das?«
    Sie lauschten. Zuerst bemerkte Laura nichts Besonderes - Vögel, die in den Bäumen zwitscherten, das leise Rauschen des Laubs, das Summen kleiner Insekten -, doch dann hörte sie es: ein weit entferntes Heulen, fast wie das einer Sirene, nur mächtiger, wütender.
    Das Tal des Verlorenen Windes?, fragte sie sich.
    Milt sah Nidi an. »Wir gehen darauf zu, richtig?«
    »Ja, es kommt von Norden. Wir hätten es schon früher gehört, wenn ich nicht die ganze Zeit geredet hätte.« Der Schrazel senkte den Kopf.
    Finn hob die Schultern. »Waren tolle Geschichten, und wir haben ja nichts verpasst, also was soll’s? Die Sache mit Loki musst du übrigens noch zu Ende erzählen.«
    Das kann er wie kein anderer, dachte Laura. Zwei, drei Sätze von ihm, und man vergisst, weshalb man sich schlecht gefühlt hat.
    Auf einmal konnte sie Milts Eifersucht verstehen. Ihm fehlte Finns Leichtigkeit, vielleicht beneidete er ihn sogar darum. Milt war ernster, aber auch ehrlicher. Sie zweifelte nicht daran, dass sie sich in den Richtigen verliebt hatte. Aber das, so viel wusste sie, würde sie ihm noch einige Male klarmachen müssen.
    Die Landschaft veränderte sich. Der Boden wurde sandiger, die Bäume wichen dornenreichen Sträuchern, zwischen denen zuerst kleine, dann immer größere Felsen hervorragten. Nach einer Weile schlossen sie den Weg an beiden Seiten ein und raubten Laura den Blick auf die Landschaft. Das Heulen, das sie zuerst nur gehört hatte, wenn sie sich darauf konzentrierte, wurde stetig lauter. Längst klang es nicht mehr wie eine Sirene, sondern wie das, was es wohl auch war: Wind.
    »Wir sollten uns hier irgendwo einen Platz zum Übernachten suchen«, sagte Milt. »Wenn das Heulen noch lauter wird, kriegen wir kein Auge zu.«
    Laura wollte ihm zustimmen, doch Nidi kam ihr zuvor.
    »Es ist nicht mehr weit!«, rief er von den Felsen, über die er die ganze Zeit kletterte, nach unten. »Ich kann das Tal schon sehen.«
    Er hatte recht. Nur wenig später wurden die Felsen niedriger und gaben den Blick auf die Landschaft frei, die vor ihnen lag.
    Laura stockte der Atem. Der Weg fiel steil ab, führte in ein trichterförmiges, völlig kahles Tal. Es gab keinen einzigen Baum, keinen Strauch, noch nicht einmal Erdreich, nur glatten, grauen, wie poliert wirkenden Stein. Eine riesige Windhose stand über dem Tal. Ihr dünnes Ende bohrte sich in die Mitte des Tals, förderte Sand und Steinstaub empor. Ab und zu schnellte etwas, das wie ein Tentakel aussah, aus der Windhose hervor und schleuderte einen Teil des Sands umher. Sein Rauschen mischte sich in das wütende Heulen des Windes.
    Eine Weile sagte keiner etwas, dann räusperte sich Finn. »Seid ihr wirklich sicher, dass wir da durchmüssen?« Er hob die Tonpfeife, die an einem Lederband um seinen Hals hing. »Wir haben noch unseren Taxiruf.«
    »Ich glaube nicht, dass die Iolair darüber besonders glücklich wären«, sagte Laura. Die Krieger hatten ihr und ihren Gefährten beim Abschied je eine Tonpfeife mitgegeben. Sie mussten nur hineinblasen, dann würden die Iolair kommen, um sie abzuholen.
    Milt nickte. »Sie haben uns strikte Anweisung gegeben, die Pfeifen nicht zu missbrauchen und nur in höchster Not anzuwenden.«
    »War nur so ein Gedanke.« Finn drehte die kleine Tonpfeife noch einen Moment zwischen den Fingern, dann seufzte er und ließ sie los. »Okay, dann geht’s also morgen früh ins Tal des Verlorenen Windes.«
    Er nahm seinen Rucksack von den Schultern und zog eine Decke heraus. »Das wird bestimmt ganz toll.«

3
    Der
    verlorene Wind
     
    D ie erste Mahlzeit des Tages bestand aus dem gleichen Essen wie die letzte am Abend zuvor: Fladenbrot, Käse, getrocknete, nach
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