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Schattenlord 6 - Der gläserne Turm

Schattenlord 6 - Der gläserne Turm

Titel: Schattenlord 6 - Der gläserne Turm
Autoren: Claudia Kern
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Tal erreichten. Die Luft wirkte milchig, ein Schleier schien über der kahlen, kühlen Landschaft zu hängen. Sie sah kein einziges Tier, kein Insekt, keinen Vogel am Himmel, keine Spinne zwischen den Felsen. Vielleicht, dachte sie, schreckt alles Leben vor der Wut zurück, die dieses Tal erschaffen hat.
    Sie richtete ihren Blick wieder auf die Windhose und blinzelte überrascht, als sie sah, wie sich ein Tentakel löste. Wie der Stock eines Blinden tastete er sich über das Land.
    »Seht ihr das?«, fragte Milt im gleichen Moment. »Kommt das auf uns zu, oder bilde ich mir das ein?«
    Laura kniff die Augen zusammen. Der Tentakel sprang vor und zurück und von einer Seite zur anderen, aber er schien sich dabei tatsächlich in ihre Richtung zu bewegen, fast so, als würde er von dem fremden Leben in seinem Tal angezogen.
    »Sollten wir uns Sorgen machen?« Milt drehte den Kopf, konnte Nidi auf seinem Rücken aber nicht ansehen. »Nidi?«, fragte er lauter. »Meinst du, wir kriegen ein Problem?«
    Der Schrazel antwortete nicht, öffnete nur wortlos den Reißverschluss des Rucksacks und kletterte hinein.
    Milt spürte die Bewegungen anscheinend, denn er wandte sich an Laura. »Was macht er?«
    Finn kam ihr mit einer Antwort zuvor. »Er sagt, dass wir ein Problem kriegen.«
    Laura sah sich um, entdeckte aber nichts, wo sie hätten Schutz suchen können. Es gab keine Höhle und keinen Felsvorsprung, nur glatten, kalten Stein.
    Der Tentakel aus Wind und Sand und Stein bewegte sich bereits zielstrebiger, kam ihnen in einem wilden Wirbel entgegen. Laura spürte, wie eine Brise durch ihre Haare fuhr, dann knirschte feiner Sand zwischen ihren Zähnen.
    »Kommt!«, rief sie über das lauter werdende Heulen. »Runter vom Weg! Mal sehen, ob er uns folgt.«
    Er tat es, das wurde ihr schon nach wenigen Schritten klar, als der Tentakel ebenfalls vom Weg abwich und sich ihnen weiter näherte.
    »Das Ding wird immer größer!«, hörte Laura Milt sagen. Dass er recht hatte, war nicht zu übersehen. Der Tentakel, der ihr zu Beginn so dünn wie ein Rinnsal erschienen war, wirkte nun so breit wie ein Fluss.
    »Wir müssen zurück.« Der Wind riss ihr die Worte von den Lippen. »Wir können uns hier nicht schützen.«
    Milt nickte. Neben ihm zog Finn seine Decke aus dem Rucksack und legte sie sich um Kopf und Schultern. »Je schneller wir hier raus sind, desto besser.«
    Sie drehten sich um und liefen los. Die Felsenwand, die das Tal vom Rest der Landschaft trennte, war vielleicht hundert Schritte entfernt, schätzte Laura, doch sie konnte sie kaum noch erkennen. Brauner Staub hing in der Luft und raubte ihr die Sicht.
    »Wir müssen uns an den Händen fassen!«, rief Finn. »Sonst verlieren wir uns.«
    Ebenso wie Milt zog sich auch Laura die Jacke über den Kopf und schloss sie so weit, dass sie durch den Stoff atmen konnte. Dann ergriff sie die Hand der beiden Männer. Der Wind drückte in ihren Rücken, Sand prasselte heiß und spitz auf ihre Haut. Ihre Augen begannen zu tränen und zu jucken. Bei jedem Lidschlag spürte sie Sandkörner.
    Der Sturm wurde immer heftiger. Milt und Finn hielten ihre Hände so fest, dass es wehtat. Trotzdem glitt Laura immer wieder auf dem feinen Sand aus, der den Fels bedeckte. Es kam ihr vor, als liefe sie über winzige Murmeln.
    Milt stolperte und hätte sie beinahe mitgerissen, doch dann fing er sich im letzten Moment und lief weiter. Laura konnte längst nicht mehr erkennen, wohin sie gingen. Ihr Blick war tränenverschwommen, ihre Umgebung bestand nur noch aus wirbelnden, prasselnden Sandkörnern und dem Heulen des Windes. Sie atmete, schmeckte und sah Sand.
    Es geht immer noch bergauf, dachte sie. Irgendwo vor uns muss das Tal zu Ende sein.
    Doch der Weg erschien ihr bereits weit länger als die hundert Schritte, die sie geschätzt hatte. Ein besonders heftiger Windstoß warf sie nach vorn. Laura taumelte, verlor das Gleichgewicht und riss instinktiv die Arme nach vorn, um sich abzustützen. Milts Hand entglitt ihr. Sie bemerkte es erst, als sie hart auf die Knie fiel und nur Finn sie weiterzog. Sie streckte ihre freie Hand nach Milt aus, griff jedoch ins Leere.
    »Milt!«, schrie sie. Das Tosen um sie herum war so laut, dass sie ihre eigene Stimme nicht hörte. Jemand legte den Arm um sie - Finn - und zog sie hoch. Er schrie etwas, das sie nicht verstand, aber sie konnte sich denken, was er von ihr forderte: Geh weiter. Bleib nicht stehen.
    Sie riss sich von ihm los und fuhr herum. »Milt!«
    Finn
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