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Schattenlord 6 - Der gläserne Turm

Schattenlord 6 - Der gläserne Turm

Titel: Schattenlord 6 - Der gläserne Turm
Autoren: Claudia Kern
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sicherer als je zuvor in dieser fremden Welt.
    »Letzte Chance«, sagte er, als er in der Tür stehen blieb. Sandra reagierte nicht.
    Luca verließ die Hütte und trat hinaus in den Morgen. Der Platz, den man den Neuankömmlingen zugewiesen hatte, lag ein wenig abseits vom Rest der Siedlung; er war fast leer. Die meisten Menschen schienen der Bitte der Iolair nachzukommen und irgendwo auszuhelfen - ob auf den Feldern, in den Ställen oder den kleinen provisorisch wirkenden Werkstätten, konnte er nicht sagen. Nur Maurice und Norbert saßen auf Hockern in der Sonne und redeten - nein, Norbert redete, und Maurice nickte, so wie immer.
    Luca wandte sich ab, bevor sie ihn sehen konnten, und ging auf den Dorfplatz zu, um den die Hütten dichter standen. Überall wurde gearbeitet, meistens draußen. Ein Schmied schlug mit einem Hammer auf glühendes Eisen ein; neben ihm hockte ein Krieger mit vier Armen, schärfte mit zweien sein Schwert an einem Wetzstein, während er mit den anderen beiden ein Stück Brot mit Schmalz bestrich.
    Luca versuchte, den Mann nicht anzustarren, aber das gelang ihm erst, als zwei Frauen mit langen Giraffenhälsen hinter einem Baum hervortraten und an den Blättern zu kauen begannen. Eine von ihnen zwinkerte ihm aus großen, sanft blickenden Augen zu. Luca wurde rot und sah zu Boden.
    Er ging an einem Schneider vorbei, der ein Kleid nähte, das einem Flusspferd gepasst hätte, und an einem Schuster, dessen Zunge sich ausrollte wie die eines Chamäleons und der damit Tau vom Gras leckte.
    Das ist hier wie Star Wars, dachte Luca. Sein Herz schlug schneller. Geil.
    Abseits des Dorfplatzes traf er kaum noch Iolair. Die Bäume schluckten die Geräusche der Siedlung, doch die Sonnenstrahlen drangen trotz des dichten Blätterdachs bis zum Boden durch. Irgendjemand hatte gesagt, das läge an den Zaubern, die den Krater schützten.
    Luca folgte dem breiten Weg vorbei an Bäumen, Sträuchern, die sich unter roten und blauen Beeren beugten, und einigen Felsen, die wie weiße Knöchel aus einer grünen Hand ragten. Überall sangen Vögel, ab und zu huschte ein kleines Tier über den Weg. Es war so friedlich, dass Luca sich einen Moment lang wünschte, er könne für immer auf diesem Weg bleiben und müsse nie wieder zurück zu den anderen. Doch dann dachte er an Sandra, seinen Vater und seine Mutter, die von Alberich gefangen gehalten wurde, und schämte sich.
    »Gehst du zum Fluss?«
    Luca zuckte zusammen, als er die Stimme hörte, und drehte den Kopf, sah jedoch niemanden.
    »Über dir.«
    Es raschelte. Instinktiv trat Luca einen Schritt zurück, bevor er nach oben sah.
    Runde gelbe Augen musterten ihn aus einem Jungengesicht. Krallen bohrten sich in einen Ast, doch auf den muskulösen Greifvogelbeinen saßen ein menschlicher Oberkörper mit Armen und ein Kopf mit kurzem braunem Haar.
    »Also, gehst du jetzt zum Fluss?« Die Stimme klang wie die eines Jungen und kam aus einem Mund, keinem Schnabel.
    Luca schluckte. »Ja.«
    »Dann komme ich mit, hier ist es eh langweilig.« Der Vogelmensch stieß sich von seinem Ast ab, ergriff einen tiefer hängenden auf der anderen Seite des Wegs, schwang sich einmal herum wie ein Turner und landete dann sicher auf beiden Beinen neben Luca.
    »Ich heiße Peddyr.«
    Angeber würde besser passen, dachte Luca, sprach den Gedanken aber nicht aus, sondern nannte nur seinen Namen.
    Der Vogeljunge wiederholte ihn, als sei er sich nicht sicher, ihn richtig verstanden zu haben, dann sagte er: »Du gehörst zu den Menschen, die neu hier sind.«
    Es war keine Frage, aber Luca nickte trotzdem. »Ja. Ist alles noch ein bisschen komisch hier.«
    »Komisch?« Ein seltsamer Unterton schwang in Peddyrs Stimme mit.
    »Ach, du weißt schon.« Luca hob die Schultern, hatte auf einmal den Eindruck, dass er mit seiner Bemerkung auf gefährliches Terrain geraten war. »Wenn man neu ist, kommt es einem überall komisch vor.«
    »Du meinst mich, oder?« Peddyrs Klauen bohrten sich in den Staub, so wie ein Mensch, der die Fäuste ballte. Luca wurde auf einmal bewusst, wie lang und scharf seine Krallen waren.
    »Nein, ich ...«
    »Ich sehe doch, wie du mich anstarrst.« Peddyr hob die Arme, drehte sich im Kreis, als wolle er sich einem unsichtbaren Publikum präsentieren. »Seht euch die Missgeburt an, das Monstrum, den Scherz der Götter!«
    Er ließ die Arme sinken und schüttelte den Kopf. Zwischen seinen brauen Haaren hingen einige Federn. »Sag Bescheid, wenn du genug gestarrt hast, dann gehe
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