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Schattenkrieg

Schattenkrieg

Titel: Schattenkrieg
Autoren: Andreas Saumweber
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Tagen. Sie beichtete ihm, dass sie keine Ahnung hatte, worauf er mit einer wortlosen Untersuchung begann. Anschließend gingen sie gemeinsam zurück zum Stützpunkt.
    »Lungenentzündung«, erklärte Dr. Williams dort. »Hoffe nur, dass wir das wieder hinkriegen!«
    Keelin erschauderte. Lungenentzündung! Das konnte schon bei jungen und ansonsten gesunden Patienten tödlich enden, und Mr. Burke war weder jung noch gesund … Sie spürte, wie das Blut ihr in die Beine sackte, und taumelte schwindelig, doch sie rettete sich auf einen Stuhl. Diese Lungenentzündung hatte
sie
zu verantworten. Falls Dr. Williams die Umstände an den Oberarzt weitergab, konnte sie das ihren Job kosten!
    »Alles in Ordnung, Miss Winters? Sie sehen blass aus!« Der Arzt blickte besorgt.
    Keelin nickte schwach, während sie gegen die aufsteigende Übelkeit ankämpfte. Dr. Williams glaubte ihr offensichtlich nicht.Er murmelte etwas und verschwand eilig aus ihrem Sichtfeld. Sie spürte noch, wie ihr Schweiß auf die Stirn trat, dann wurde ihr schwarz vor Augen.
     
    Etwas später fand sich Keelin auf der Liege im Untersuchungszimmer wieder. Dr. Williams saß an seinem Schreibtisch und tippte etwas. Als sie sich zu rühren begann, wandte er sich ihr zu.
    »Wie geht es Ihnen, Miss Winters?«
    Anstelle einer Antwort zuckte sie nur mit den Schultern. Sie ließ die Beine von der Liege gleiten und setzte sich auf.
    »Ich denke, Sie sollten nach Hause gehen und sich einen Tag freinehmen«, fuhr der Arzt fort. »Sie sind überarbeitet.«
    »Auf dieser Station ist
jeder
überarbeitet! Ich kann nicht einfach so abhauen!«
    »Wenn Sie so weitermachen, werden Ihnen noch öfter Dinge passieren wie heute mit Mr. Burke. Ich kann Sie nicht immer decken. Sie wissen so gut wie ich, dass Sie das Ihren Job kosten kann. Ist es das, was Sie wollen?«
    Keelin presste nachdenklich die Lippen aufeinander. Natürlich hatte der Arzt recht – doch das würde noch mehr Überstunden für ihre Kollegen bedeuten und noch schlechter versorgte Patienten. Sie saß in der Zwickmühle.
    »Reden Sie doch mit Ihren Kolleginnen, ob Sie sich den Rest des Tages freinehmen können«, schlug Dr. Williams vor.
    Ihr war klar, wie die Antwort lauten würde: Elaine würde sie sofort nach Hause schicken und auf irgendeine mysteriöse Art und Weise trotzdem ihre Arbeit schaffen; Tamara würde nicken und zu weinen beginnen, sobald Keelin um die Ecke verschwunden wäre; und Beth würde nur mit der Schulter zucken – irgendwie hatte die erfahrene Krankenschwester es immer geschafft, ihre Schicht zu überstehen, und das würde sie auch heute … Wozu sich also aufregen?
    Der Gedanke, nach Hause zu gehen, fühlte sich an wie Verrat.
    Keelin stand von der Liege auf und ging ein paar wackligeSchritte zur Tür. Der Arzt beobachtete sie misstrauisch. Bevor sie das Untersuchungszimmer hinter sich lassen konnte, rief er ihr noch einmal hinterher, nach Hause zu gehen.
    Fünf Minuten später schob sie ihr Fahrrad über die Straßen. Die Luft roch nach Öl.

RONAN
     
    Kêr Bagbeg am Romsdalsfjord, Norwegen
    Montag, 21. Oktober 1998
    Die Innenwelt
     
     
    Ronans Halle war die größte der alten Wikingerbauten, die in Kêr Bagbeg den Letzten Germanenkrieg überstanden hatten, etwa vierzig Meter lang und fünfzehn breit, aus alten Eichenbalken errichtet, mit Fichtenbrettern gedeckt. Die Wände waren fensterlos, um dem kalten norwegischen Winter Widerstand zu bieten. Zwei schwere, eisenbeschlagene Türen an den Längsseiten waren die einzigen Zugänge von draußen. Genau zwischen den Eingängen befand sich eine Feuerstelle, deren Rauch sich im Gebälk sammelte und durch ein Loch unter dem Giebel an der Stirnseite der Halle abzog.
    Neben ihrer Bauart erinnerte jedoch kaum noch etwas an die früheren Bewohner. Ronan hatte viel Wert darauf gelegt, die Spuren der Wikinger zu beseitigen: Drachenköpfe, welche die Enden der Balken geschmückt hatten, waren abgeschlagen, Runensteine aus dem Holz gebohrt, die germanischen Bänderungen abgeschliffen und durch keltische Muster ersetzt.
    Normalerweise war die Halle angefüllt mit Tauen und Krabbenkörben, Netzen und Segeltuch, Webspindeln und Kisten voller Rohwolle, die die Frauen während den dunklen Wintertagen zu Fäden sponnen. Heute jedoch war all dies zur Seite oder in den Schuppen geräumt, um zusätzlichen Bänken und Tischen Platz zu machen.
    Nun hockten auf den Bänken wettergegerbte, bärtige Seeleute, die Tische waren beladen mit hölzernen Krügen und
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