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SchattenHaut

SchattenHaut

Titel: SchattenHaut
Autoren: Nané Lénard
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meinte es ernst, er hatte keine Zeit mehr. Den Notruf wollte und konnte er auch nicht mehr verständigen, außerdem kamen die immer mit so viel Trara. Wer weiß, ob der Mann verschreckt werden würde. Dann konnte es zu einer Kurzschlussreaktion kommen. Nein, er musste da allein hin, und zwar schnell. Im Keller stieg er in seine Schuhe und seinen Wintermantel, griff die große Taschenlampe, warf sich eine Decke über die Schulter und ging so schnell er konnte in Richtung Fluss. Früher hätte er rennen können, aber das ließen seine alten Knochen nicht mehr zu, er war schon über siebzig. Vielleicht war es gut, dass der Fremde ihn angerufen hatte, immerhin hatte er Erfahrung mit Menschen in den schwierigsten Lebenssituationen.
    Der Weg hinunter zum Ufer war für ihn eine Herausforderung. Ohne Taschenlampe wäre er sicher gestürzt, hier war es stockfinster. Nur manchmal riss die Wolkendecke durch den starken Wind auf. Da brachte der Mond wenig Licht.
    Es war fast Neumond.
    „Hier bin ich“, raunte die sanfte Stimme nahe dem Flussufer.
    Der Mann stand tatsächlich im Wasser.
    „Kommen Sie raus, lassen Sie uns in Ruhe reden.“
    „Wir können auch so reden. Was möchten Sie mir denn sagen?“
    „Ich möchte Ihnen sagen, dass Sie – egal was Ihnen passiert ist – immer wieder Freude am Leben finden können. Es wird auch wieder schöne Tage geben.“
    Ein Lachen durchriss den Sturm. Es war mehr ein Schreien, das nur langsam über dem Flussbett verhallte.
    „Das sind leere Worte, Sie können sich gar nicht vorstellen, wie leer diese Worte sind – vor allem für mich. Alles Phrasen, alles Geplapper. Haben Sie nicht mehr zu bieten?“
    „Sie müssen mir erklären, was Ihnen geschehen ist. Ich möchte Ihnen so gerne helfen. Aber das kann ich nicht, wenn ich nicht weiß, was passiert ist.“
    „Oh, das sollten Sie aber genau wissen, denn Sie sind dafür verantwortlich. Sie gehören zu den Menschen, die mich zu dem gemacht haben, was ich bin. Es war Ihre Entscheidung, Ihr Rat. Sie sind ein Teil des Gerichts gewesen, das über mich geurteilt hat. In diesem Moment haben Sie meine Seele zerstört und darum ist sie jetzt auch nicht mehr zu retten.“
    Der Fremde machte einen Schritt rückwärts und stand jetzt bis zu den Knien im Wasser.
    „So warten Sie doch! Bitte lassen Sie mich Ihnen helfen. Wie kann ich das Unrecht wiedergutmachen, das Ihnen geschehen ist. Was um Himmels willen habe ich denn getan…?“
    Fraas dachte nach. Sicher hatte er in seiner Amtszeit Fehler gemacht. Und ganz bestimmt war sein Rat nicht immer der richtige gewesen. Aber er hatte stets in guter Absicht, im Sinne Gottes gehandelt. Das musste ihm der Fremde doch glauben.
    „…bitte sagen Sie mir, was damals passiert ist, ich möchte Ihnen wirklich helfen. Bitte!“
    „Dann müssen Sie zu mir kommen. Ich kann es nicht laut sagen. Es muss im Verborgenen bleiben. Niemand darf es wissen.“
    „Hier kann Sie doch niemand hören. Meinen Sie, dass ich zu Ihnen ins Wasser kommen soll? Hier ist doch niemand. Ich bin alt, meine Füße werden nass. Es ist schon so bitterkalt. Bitte nehmen Sie Rücksicht und kommen Sie ans Ufer.“
    „Auf keinen Fall. Wenn Sie nicht kommen, haben Sie auch noch den Rest meiner armseligen Seele auf dem Gewissen. Ich gehe jetzt weiter rein. Meine Unterschenkel spüre ich schon nicht mehr.“
    „Halt!“, rief Pfarrer Josef und setzte den ersten Fuß schaudernd in die Weser, „ich komme ja.“
    Das Gehen im Wasser fiel ihm schwer, sofort drang es in das warme Futter seiner Schuhe. Es war, als hätte er Blei an den Füßen. Als er den Mann erreichte, schaute er ihn direkt an.
    Er hatte keine Erinnerung an dieses Gesicht, er kannte ihn nicht. Seine Beine und Füße froren erbärmlich.
    „Drehen Sie sich zur Seite, damit ich Ihnen ins Ohr flüstern kann, was mich bedrückt“, bat der Mann.
    „Hier kann uns doch nun wirklich niemand hören“, sagte Fraas und neigte sich zu ihm.
    Als er nun hörte, was der Unbekannte in seine Ohrmuschel sprach, wusste er, dass es wirklich nur leise gesagt werden konnte. Blankes Entsetzen stand in seinen Augen. Das hatte er alles nicht gewusst. Das waren damals andere Zeiten gewesen. Dafür konnte man ihn doch nicht verantwortlich machen. Und noch während er über das Gesagte nachdachte, das dem Mann angetan und jetzt ihm zur Last gelegt werden sollte, hörte das Denken einfach auf, er atmete nur noch, dann gaben seine Beine nach.
    Der Fremde fing den Pfarrer auf. Ja, niemand war
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