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SchattenHaut

SchattenHaut

Titel: SchattenHaut
Autoren: Nané Lénard
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schuld. Er war das Opfer, aber niemand trug die Schuld. Er schleifte den Bewusstlosen ans Ufer und legte ihn im Gras ab. Da er eine Anglerhose trug, war er vollkommen trocken geblieben.
    Jetzt lag er da, der Geistliche, der Seelenretter, der Seelsorger. Gottes Sprachrohr auf Erden. Es konnte nicht Gottes Wille gewesen sein, zu dem er damals geraten hatte. Das wäre doch ein Widerspruch in sich gewesen. Diese verlogene Ratte. Er war überfordert gewesen. Für ihn hatte es nur schwarz und weiß gegeben. Keine Graustufen. Das Denken war beschränkt, sein Rat tendierte zum kleineren Übel. Es war einfacher, ein Loch zu graben, als einen Pfahl zu bauen.
    Dafür würde er jetzt büßen, würde dieselbe Erfahrung machen. Aber nur kurz, denn dann würde er ihn ersäufen, wie eine Ratte. Wie die Ratte, die er gewesen war.
    Der fast blutleere Körper versank in der Weser wie ein Stein. So ein Wintermantel konnte viele Kilo schwer werden. Da war Josef Fraas immer noch nicht tot. Aber er war viel zu schwach vor Kälte, vom Schmerz und von der Schmach, dass er den Weg zum Allerhöchsten dankbar annahm und ertrank.

Wasserwanderung
    Der entseelte Pfarrer trieb langsam in Richtung Flussmitte, wo die Strömung am stärksten war. Sie nahm ihn gnädig auf und spielte mit ihm. Zog ihn unter Wasser in einen Strudel, spie ihn fünf Meter weiter wieder aus, drehte mit ihm eine Pirouette und ließ sein Haar wie im Wind flattern. Im Tod hatte er sich vor Schmerz zusammengekrümmt. Wie ein großer Embryo mit Mantel und Schuhen meisterte er die ersten beiden Weserkrümmungen vor Wehrbergen und glitt dann etwas gestreckter in nordwestlicher Richtung davon.
    Im Bogen bei Hessisch Oldendorf blieb Josef zunächst an einer alten Tonne hängen, die auf dem Wesergrund gestrandet war. Doch der Mantel zog ihn wieder in die Strömung zurück. Inzwischen hatten sich zwei Knöpfe aus den Löchern gelöst.
    Westwärts trieb das Wasser ihn jetzt, und die schmale Sichel des Mondes beleuchtete seinen Weg, vorbei an Fuhlen, Rumbeck und Großenwieden, wo die Weser erneut einen Haken schlug und mehrfach die Richtung änderte. Josef hatte seine Not mit den Windungen, denn dort blieb er leicht am Ufer in den Ästen hängen. Einmal sogar über eine Stunde, bis das Holz dem Gewicht nachgab und als Anhängsel mitschwamm. Der Ast war wohl auch der Grund, warum der Leichnam einige Flusskilometer weiter unterhalb des Weserangerbades in Rinteln strandete. Er bohrte sich in eine der Buchten in den sandigen Untergrund. Ein nächtliches Schiff spülte ihn mit seinen Heckwellen an Land.
    Und da lag er nun in der Morgendämmerung. Ein schwarzes Stück Strandgut, steif wie ein Baumstamm. Für eine Wasserleiche sah er gut aus. Dafür hatte die Kälte der Weser gesorgt. Nicht einmal die Fingerkuppen waren aufgequollen.
    Dass er trotzdem die Spaziergängerin erschreckte, hätte er selbst am wenigsten gewollt. Aber es war nicht zu ändern. Er war tot und genau das sah man ihm an. Martha Schulze stieß einen Schrei aus, zog ihren Dackel so schnell sie konnte in die entgegengesetzte Richtung. Durch den Schrei waren andere Passanten oben auf der Weserbrücke aufmerksam geworden. Als die Polizei gegen neun Uhr am Tatort eintraf, hatte sich dort bereits eine Menge Schaulustiger versammelt, die von der Brücke gafften. Polizeikommissar Wilfried Müller hatte auch von Ferne mit einem Blick erkannt, dass hier andere Kräfte angefordert werden mussten. Über Funk informierte er die Kripo in Nienburg und Rinteln. Er ließ das Gelände weiträumig, sowie die Brücke für Fußgänger, absperren. Dass auf der gegenüberliegenden Seite der Weser bereits ebenfalls Katastrophentouristen lauerten, konnte er nicht verhindern. Die Wasserschutzpolizei aus Hameln war bereits unterwegs. Schichtführer Müller wollte alles Notwendige veranlasst haben, bis die Kripo eintraf.

Der erste Tag
    Schon vor dem ersten Weckerklingeln war Wolf Hetzer wach. Er war nicht direkt aufgeregt, aber es war schon ein besonderer Tag. Die Rintelner Beamten, die er sonst nur von städteübergreifenden Ermittlungen kannte, würden ab heute seine neuen Kollegen sein.
    Gaga tat, als schliefe sie noch, doch er wusste es besser. Sie hatte ihren Kopf auf seinen Hausschuh gelegt. Vorsichtig stupste er sie mit der großen Zehe, worauf sie sich brummend auf die Seite rollte und den Schuh freigab.
    Im Bad war es frisch. Mist, er hatte vergessen, das Fenster zuzumachen. Nachts war es jetzt schon empfindlich kalt. Bibbernd kam er aus
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