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Schattengilde 03 - Unter dem Verrätermond

Titel: Schattengilde 03 - Unter dem Verrätermond
Autoren: Lynn Flewelling
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lächelte er still in sich hinein. Hier war Alecs Zimmer gewesen. Als sie das Haus verlassen hatten, waren sie noch keine Talímenios gewesen.
    Auch in der Herberge zum Jungen Hahn hatte Alec seine eigene Bettstatt besessen.
    Als Seregil sich umwandte, sah er Alec in der Tür zum Baderaum stehen. Wasser troff aus seinem Haar auf die entblößten Schultern.
    »Wir können diesen Teil der Stadt nicht für immer meiden«, sagte er, als hätte er Seregils Gedanken gelesen. »Ich werde mich erst wieder heimisch fühlen, wenn ich dort gewesen bin.«
    Seregil schloss die Augen und rieb sich mit den Händen über die Lider. Zum ersten Mal wünschte er sich, er würde Alecs Sehnsucht nicht mitempfinden. »Wenn es dunkel ist«, gab er dennoch nach.
     
    Gewandet in alte Kleider und dunkle Umhänge legten sie ihre offizielle Identität so leicht ab wie die dazugehörenden Gewänder.
    Zu Fuß folgten sie der Heugarbenstraße gen Westen zum Ernte-Markt. Unterwegs passierten sie den Astellusplatz und die Lichterstraße. Die bunten Laternen vor den Bordellen und Spielhäusern leuchteten trotz des Krieges noch immer einladend.
    In den ärmeren Vierteln jenseits des Ufermarktes angelangt, zögerten sie doch ein wenig, ehe sie in die Blaufischstraße einbogen. Jeder von ihnen trug die Last seiner eigenen Erinnerungen an die Gräuel, deren Zeuge sie an diesem Ort geworden waren.
    Die Ruine des Jungen Hahns stand noch immer. Das Land gehörte Seregil, wenngleich nicht unter seinem Namen. Nicht einmal Runcer hatte von diesem Ort und Seregils Verbindung zu der Herberge gewusst.
    Geröllhaufen und beinahe die komplette Hofmauer waren fortgeschafft worden, um Häuser zu bauen oder zu reparieren, nur eine Küchenwand und der Schornstein reckten sich noch dem nächtlichen Himmel entgegen. Kletterpflanzen wucherten über die zerklüfteten Bruchkanten im Mauerwerk. Irgendwo aus dem Durcheinander erklang der klagende Ruf einer Eule. Wind raschelte im Laub und strich seufzend über die geborstenen Mauern.
    Kaum hörbar flüsterte Alec ein dalnaisches Gebet, das den Geistern der Toten Ruhe schenken sollte.
    Sie wurden eingeäschert, dachte Seregil, darum bemüht, die blutigen Bilder sprechender Totenköpfe zu vertreiben. Er selbst hatte das Haus in Flammen gesteckt, um sicherzustellen, dass sie nicht wiederkehrten.
    Im Hinterhof war keine Spur des Stalls mehr zu sehen, doch der Brunnen war gesäubert worden und schien noch immer genutzt zu werden. Thryis’ Küchengarten war völlig verwildert. Minze, Basilikumkraut und Borretsch hatten die Erde erobert, wo die alte Frau früher Linsen und Lauch gezüchtet hatte.
    »In der ganzen Zeit, in der wir hier gewohnt haben, habe ich, glaube ich, nie die Vordertür benutzt«, murmelte Alec, der sich zwischen verkohlten Balken einen Weg zu den Überresten des Kamins bahnte. Die Einfassung war noch erhalten, und im geschützten Garraum des Ofens hatte sich eine Mäusefamilie eingenistet.
    Seregil lehnte sich an den Türrahmen und schloss die Augen, um sich zu erinnern, wie der Raum früher ausgesehen hatte: Thryis, die sich auf ihren Stock stützte, während sie sich über ihre Kessel und Töpfe beugte; Cilla, die am Tisch Äpfel schälte, und ihr Vater, Diomis, der sich um das Baby kümmerte. Beinahe glaubte er, die vertrauten Düfte zu riechen: Lamm und Linseneintopf, frisches Brot, Knoblauch und reife Erdbeeren, der säuerliche Dunst des Käses in der Presse in der Speisekammer. Die Cavishs hatten in dieser Küche gefrühstückt, wenn sie die Stadt während eines der großen Feste besucht hatten. Nysander hatte eine ganz besondere Vorliebe für Cillas Minztörtchen und das Bier ihres Vaters.
    Die Erinnerungen schmerzten noch immer, hatten aber an Schärfe verloren.
    Tanze den Tanz.
    »Verdammt! Was ist das?«, zischte Alec.
    Erschrocken riss Seregil die Augen auf und sah gerade noch, wie eine kleine, dunkle Gestalt aus dem Herd hervorschoss. Sie rannte an Alec vorbei, stolperte dann aber über irgendetwas und stürzte, alle Viere von sich gestreckt, zu Boden. Über ihnen ergriff die Eule zusammen mit ihrem Gefährten unter wildem Flügelschlag die Flucht.
    Seregil stürzte sich auf den zappelnden Schatten, der sich als zerlumpter Knabe entpuppte. Er konnte nicht älter als zehn Jahre sein, doch er war flink und gewandt wie eine Schlange, stieß mit einem Dolch nach Seregil und fluchte mit seiner zittrigen hohen Stimme wie ein ausgewachsener Lump.
    »Wenn ich den Gestank und das Vokabular richtig deute,
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