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Schattengilde 02 - Der Gott der Dunkelheit

Titel: Schattengilde 02 - Der Gott der Dunkelheit
Autoren: Lynn Flewelling
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Das ist ein Kode.«
    Nysander reichte ihm eine Wachstafel und einen Griffel. »Willst du es versuchen?«
    Als Seregil das Dokument abermals durchlas, entdeckte er sechzehn Wörter mit falsch gesetzten Akzenten. Dann erstellte er eine Liste, die nur die Buchstaben mit falschem Akzent umfaßte und kam auf neunundzwanzig.
    Stirnrunzelnd klopfte er sich mit dem Griffel auf das Kinn.
    »Ein verflucht schwieriges Rätsel.«
    »Schwieriger, als du dir vorstellen kannst. Mein Meister Arkoniel und ich haben mehr als ein Jahr gebraucht, um den Schlüssel zu entdecken. Allerdings haben wir zu der Zeit auch an anderen Dingen gearbeitet.«
    Seregil stöhnte auf und schleuderte den Griffel beiseite. »Willst du damit sagen, daß ihr diese Nuß bereits geknackt habt?«
    »Aber ja. Weißt du, das ist nicht die eigentliche Aufgabe. Doch ich wußte, daß du dich lieber am Original versuchen würdest, um deine eigenen Schlüsse zu ziehen.«
    »Und wie sieht der Schlüssel aus?«
    Nysander trat zu Seregil an den Tisch, drehte die Wachstafel um und begann mit raschen Schwüngen zu schreiben. »Die Buchstaben mit den Akzenten ergeben nur blanken Unsinn, eine Erkenntnis, zu der wir erst nach entmutigend langer Zeit gelangt sind. Der Schlüssel setzt sich aus Silbenbildung und Fall zusammen. Wie du weißt, ist Alt-Asuit eine beugende Sprache mit fünf Fällen. Jedoch werden nur drei Fälle – der Nominativ, der Dativ und der Genetiv – für den Kode verwendet. Sieh dir zum Beispiel die Worte an, aus denen die Wendung ›der Welt‹ besteht.«
    Nachdenklich nickte Seregil und murmelte: »Ja, über diesen falsch gesetzten Akzent bin ich gestolpert. Er sollte über dem zweiten Selbstlaut der letzten und nicht der ersten Silbe sein.«
    »Richtig. Da ›Welt‹ im Genetiv steht und der falsche Akzent sich in der vorvorletzten Silbe befindet, verwendet man den letzten Buchstaben des Wortes. Wenn er im selben Fall, aber in der zweiten oder vorletzten Silbe auftaucht, dann verwendet man den ersten.«
    Seregil schaute auf und grinste. »Ich wußte gar nicht, daß du ein so begnadeter Grammatiker bist.«
    Nysander gestattete sich ein belustigtes Augenzwinkern. »Im Laufe der Jahrhunderte lernt man schon ein, zwei Dinge. Es ist fürwahr ein höchst ausgeklügeltes System und ziemlich sicher vor einer versehentlichen Entschlüsselung. Im Nominativ bedeutet ein falscher Akzent über der vorvorletzten Silbe, daß man den letzten Buchstaben jenes Wortes nehmen muß, das unmittelbar auf das mit dem falschen Akzent folgt, und so weiter. Im Dativ haben nur die Akzente über den vorletzten Silben eine Bedeutung. Als Ergebnis des Ganzen bleiben nur fünfzehn Buchstaben übrig. Fügt man sie also richtig aneinander – behalt jetzt die Schrift im Auge –, fügt man sie richtig aneinander, spricht man sie ›argucth chthon hrig‹ aus.«
    »Klingt, als wolltest du gleich ausspucken …« setzte Seregil an, doch der Satz blieb ihm im Halse stecken, als die Schriftzüge der Seite plötzlich durcheinanderwirbelten. Binnen weniger Augenblicke waren sie gänzlich verschwunden. Statt dessen sah er ein kreisförmiges Symbol, das einem achtzackigen Stern ähnelte und sich über den Großteil der Seite erstreckte.
    »Ein magisches Palimpsest!« keuchte Seregil.
    »Richtig. Aber sieh es dir genauer an.«
    Seregil hielt das Pergament dichter an die Lampe und stieß einen leisen Pfiff aus; das gesamte Symbol bestand aus makellosen, kalligraphischen Schriftzügen. »Das hat unser verrückter Prophet wohl mit einer Kolibrifeder geschrieben.«
    »Kannst du es entziffern?«
    »Ich weiß nicht. Es ist so klein gefuzelt. Die Schriftzeichen sind konisch, was die Hofschreiber zu Zeiten der frühen Priesterkönige verwendeten, aber die Sprache ist eine andere, als wollte der Verfasser den Klang einer Sprache mit dem Alphabet einer anderen nachzeichnen. Ja, genau das hat er versucht, dieser gerissene, alte Halunke. Und wenn man mündlich an den Text herangeht …«
    Leise vor sich hin murmelnd, mühte sich Seregil durch die verworrenen Schriftzüge. Eine halbe Stunde später schaute er mit triumphierendem Lächeln auf. »Reines Dravnisch. Nysander, das muß Dravnisch sein.«
    »Dravnisch?«
    »Die Dravnier sind ein Stammesvolk, das verstreut in den Gletschertälern der Ashek-Berge nördlich von Aurënen lebt. Ich bin nicht mehr dort oben gewesen, seit ich ein Knabe war, aber ich habe die Sprache gelernt. Sie sind berühmt für ihre Sagen und Legenden, diese Dravnier. Zwar besitzen
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