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Schattengilde 02 - Der Gott der Dunkelheit

Titel: Schattengilde 02 - Der Gott der Dunkelheit
Autoren: Lynn Flewelling
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auch nur einen Häuserblock hinter sich gebracht hatten, prustete Seregil abermals los. Schwer stützte er sich auf Alecs Schulter und hauchte mit melodischer Fistelstimme: »Küß mich, mein tapferer Geliebter. Ich will dich wärmen!« Dann wandte er sich taumelnd ab und lachte schallend in den Wind.
    Vielleicht, dachte Alec entnervt, war die Sache doch noch nicht gänzlich erledigt.
     
    Zurück in der Herberge zum jungen Hahn stibitzten sie einen späten Happen aus Thryis’ Vorratskammer und erklommen die verborgene Treppe ins zweite Stockwerk. Flüchtig glommen Schutzglyphen auf, als Seregil die entsprechenden Losungsworte flüsterte. Nachdem sie das Ende der Treppe erreicht hatten, durchquerten sie den frostigen Dachspeicher und gingen auf die Tür zu ihren Zimmern zu.
    Die unordentliche Wohnstube war noch warm vom abendlichen Kaminfeuer. Alec warf den triefnassen Umhang über die Meerjungfrauenstatue neben der Tür und schälte sich aus den durchnäßten Kleidern, während er auf sein Bett zuschritt, das in der Ecke neben dem Kamin stand.
    Seregil beobachtete ihn mit einem matten Lächeln auf den Lippen. Die ausgeprägte und in seinen Augen widernatürliche Scham des Jungen hatte in den Monaten ihrer Bekanntschaft ein wenig nachgelassen; trotzdem drehte Alec sich um, als er aus der Lederhose schlüpfte und ein langes Hemd überstreifte. Mit seinen sechzehn Jahren ähnelte Alecs Körperbau stark dem seines Freundes: schlank, drahtig und hellhäutig. Als der Junge sich wieder umwandte, gab Seregil rasch vor, eifrig einen Poststapel zu sortieren, der sich auf dem Tisch angehäuft hatte.
    »Morgen haben wir nichts Besonderes vor, oder?« fragte Alec und biß in eine der Fleischpiroggen, die sie aus der Vorratskammer geschnappt hatten.
    »Nichts Dringendes«, erwiderte Seregil und gähnte ausgiebig, während er auf die Tür zu seinem Schlafzimmer zuging. »Und ich gedenke, keinesfalls vor Mittag aufzustehen. Gute Nacht.«
    Mit Hilfe eines Lichtsteins steuerte er an den Bücherstapeln, den Kisten und dem übrigen Kram vorbei auf das breite, mit Samtvorhängen versehene Bett zu, das den hinteren Teil der winzigen Kammer beherrschte. Er legte die nassen Kleider ab und schlüpfte wohlig seufzend zwischen die makellos reinen Laken. Ruetha tauchte aus einer mit Gerümpel verstellten Ecke auf, sprang kehlig schnurrend ins Bett und verlangte Einlaß unter die Decke.
    Insgesamt betrachtet, war es ein arbeitsreiches Jahr gewesen, dachte er, während er abwesend die Katze streichelte. Vor allem die letzten paar Monate. Allein die heutige Erkenntnis, wie lange sein letzter Besuch in der Lichterstraße bereits zurücklag, unterstrich, wie zerrüttet sein Leben im allgemeinen verlief.
    Na ja. Der Winter steht vor der Tür. Zwar wird uns die Arbeit wohl nie ausgehen, aber uns wird auch reichlich Zeit bleiben, die Annehmlichkeiten der Stadt auszukosten. Alles in allem würde ich sagen, wir haben uns ein wenig Erholung verdient.
    Während Seregil sich die ruhigen, verschneiten Monate ausmalte, die vor ihnen lagen, glitt er sanft hinüber in den Schlaf -
    - und erwachte kurz darauf aus einem Alptraum über einen Sturz in die Dunkelheit, und Alecs entsetzter Schrei hallte in seinen Ohren, während sie fielen, tiefer und tiefer, vorbei an den Mauern von Kassaries Bergfried und hinein in die kluftige Schlucht davor.
    Als Seregil japsend die Augen aufschlug, stellte er gleichermaßen erleichtert und verärgert fest, daß er splitternackt in einem der Lehnstühle in Nysanders Wohnstube saß. Die Frage, wie er hierhergekommen war, erübrigte sich; die überwältigende Übelkeit, die einen Ortswechselzauber stets begleitete, krampfte seinen Magen zusammen. Er wischte sich das lange, dunkle Haar aus dem Gesicht und blickte zerknirscht, mit finsterer Miene zu dem Magier empor.
    »Verzeih, daß ich dich so jäh hergeholt habe, mein lieber Junge«, sagte Nysander und reichte ihm einen Hausmantel und eine dampfende Tasse Tee.
    »Ich nehme an, es gibt einen guten Grund dafür«, brummte Seregil in der Gewißheit, daß dem so sein mußte, wenn Nysander bereits so kurz nach dem Unfall bei der Gestaltwandlung schon wieder Magie an ihm anwandte.
    »Selbstverständlich. Ich wollte dich schon eher holen, aber ihr beide wart gerade damit beschäftigt, bei jemandem einzubrechen.« Nachdem Nysander sich ebenfalls eine Tasse Tee eingeschenkt hatte, ließ er sich in seinen Lieblingsstuhl auf der gegenüberliegenden Seite des Kamins sinken. »Ich habe nur
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