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Schattengilde 02 - Der Gott der Dunkelheit

Titel: Schattengilde 02 - Der Gott der Dunkelheit
Autoren: Lynn Flewelling
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und fand die Tür unversperrt vor. Heute nacht war die Überbringung seine Aufgabe, eine weitere Prüfung für den Gesellen der Katze. Zwar schien ein Auftrag dieser Art kaum so bedeutend wie jener, den sie kürzlich für Nysander ausgeführt hatten, dennoch erforderte er ein hohes Maß an Raffinesse, und der Junge brannte darauf, seine Fähigkeiten unter Beweis zu stellen.
    Alec schob den Lichtstein zurück in die Werkzeugrolle, holte tief Luft und hob den Riegel an.
    Auf einem Schränkchen neben dem Bett brannte eine Nachtlampe. Der Bettvorhang war offen. Alec erblickte ein junges Mädchen mit üppigen Zöpfen, das mit dem Gesicht zum Licht auf der türnahen Seite des Bettes schlief. Daneben wälzte sich unruhig eine größere Gestalt unter der dicken Steppdecke, wahrscheinlich die Mutter oder die Amme der jungen Frau.
    Er schlich zum Bettrand und holte das Pfand heraus, eine winzige, durch den goldenen Ring eines Mannes geschobene Schriftrolle. Wäre es nach ihm gegangen, er hätte sie einfach auf das Nachtkästchen gelegt und die Angelegenheit als erledigt betrachtet, doch Lord Phyriens Anweisungen waren unmißverständlich. Der Ring mußte auf das Kissen seiner Liebsten.
    Alec beugte sich über das Mädchen und legte das Pfand auftragsgemäß ab. Zu spät hörte er, wie Seregil jäh die Luft einsog. Sogleich rollte der schwere Ring das gewölbte Kissen hinab und traf das Mädchen an der Wange, unmittelbar neben dem Mund.
    Erschrocken riß die junge Frau die braunen Augen weit auf. Zu Alecs Glück erblickte sie den Ring, bevor sie aufkreischen konnte. Die Furcht in ihren Zügen verwandelte sich in stumme Freude, da sie seine vermummte Gestalt für die ihres Geliebten hielt.
    »O Phyrien, wie kühn du bist!« hauchte sie und schielte rasch zu der schlafenden Frau neben ihr. Dann ergriff sie Alecs Hand und zog sie sanft, aber entschlossen unter die Decke.
    Alec lief unter der tiefen Kapuze hochrot an. Wie die meisten Skalaner schlief das Mädchen nackt. Dennoch wagte er keinen Widerstand zu leisten. Jeder solche Versuch hätte nicht nur ihr Mißtrauen erregt, sondern vermutlich zudem das Bett so sehr zum Wackeln gebracht, daß auch die zweite Schläferin erwacht wäre.
    »Du bist so kalt!« wisperte sie leise kichernd und führte seine Hand immer tiefer. »Küß mich, mein tapferer Geliebter. Ich will dich wärmen.«
    Mit der freien Hand hielt Alec die Kapuze fest und drückte hastig die Lippen auf die ihren, dann deutete er warnend auf die andere Frau. Das Mädchen machte einen neckischen Schmollmund, ließ ihn los und schob das Liebespfand unter das Kissen.
    Mit bis in die Ohren pochendem Herzen löschte Alec die Kerze und eilte zurück hinaus in den Flur.
    »Seregil, ich …« setzte er im Flüsterton an, doch sein Gefährte schnitt ihm die Entschuldigung ab, indem er ihn am Arm packte und den Weg zurückdrängte, den sie gekommen waren.
    Verdammt, verdammt, verdammt! schalt sich Alec. Eine einfache, kleine Pfandüberbringung, und ich vermassle alles.
    Darauf gefaßt, jeden Augenblick einen Schrei zu vernehmen, liefen sie eilends hinab zur Küche und schlüpften durch das Fenster in der Vorratskammer hinaus. Auch draußen hüllte sich Seregil beharrlich in Schweigen. Nachdem sie über die Mauer geklettert waren, preschte er im Laufschritt los. In der tristen Überzeugung, bei seinem Freund und Lehrmeister in Ungnade gefallen zu sein, folgte ihm Alec.
    Drei Straßen von der Villa entfernt hielt Seregil plötzlich inne, zerrte den Jungen in eine Seitengasse, beugte sich vornüber und stützte die Hände auf die Knie, als wollte er zu Atem kommen.
    Da Alec fest mit einer harschen Schimpfkanonade rechnete, dauerte es einen Augenblick, bis er erkannte, daß Seregil lachte.
    »Bei Bilairys Eingeweiden, Alec!« stieß er hervor. »Ich hätte hundert Silbermark gegeben, um dein Gesicht zu sehen, als dieser Ring davonrollte. Und als sie dann versuchte, dich ins Bett zu ziehen …«
    Seregil lehnte sich an die Gassenwand und schüttete sich aus vor Lachen.
    »Aber ich war so dumm«, brummte Alec. »Ich hätte wissen müssen, daß er nicht liegenbleiben würde.«
    Grinsend rieb sich Seregil die Augen. »Vielleicht, aber so etwas kommt vor. Ich weiß gar nicht mehr, wie oft mir derlei Fehltritte passiert sind. Wichtig ist nur, wie man sich wieder herauswindet, und das hast du wirklich prima gemacht. ›Leben und lernen‹, sage ich immer.«
    Erleichtert schritt Alec neben ihm her, als sie nach Hause gingen. Doch bevor sie
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