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Schattengeschichten

Schattengeschichten

Titel: Schattengeschichten
Autoren: Hauke Rouven
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auf jeden Fall erhältst.“ Das klang sehr logisch und passte zu dem Krankheitsbild. „Aber was echt krass ist“, fuhr er fort, „dass er sich vor deinen Augen umgebracht hat. Wie wirst du damit fertig?“
    „Ich weiß es nicht, Tom. Wahrscheinlich habe ich es noch nicht realisiert. Aber ich hatte einen komischen Postkarten-Traum. Es... Ach, vergiss es. Ich komm damit klar. Das wollte ich sagen. Ich komme damit klar. Klar?“
    „Klar“, antwortete er.
    „Klar“, sagte ich, bedankte mich und wir verabredeten uns für die nächste Woche. Um bei mir zu kochen. Seltsam. In letzter Zeit lade ich meine Freunde häufig zu mir zum Essen ein. Eine der offensichtlichsten Veränderungen in einem Leben, wenn man älter wird, oder?
    Am Abend war Anja wieder da. Das wurde schon zur Gewohnheit. Ich musste aufpassen, dass ich mit ihr keine Beziehung einging. Aber als ich in ihr steckte, war sie meine Freundin.
    Wir bewegten unsere Hüften im Einklang, bis mein Telefon klingelte. „Geh nicht ran“, stöhnte sie. Es klingelte. „Mach weiter.“ Doch meine Konzentration ließ nach. „Warte“, keuchte ich und hob den Hörer ab.
    „Hallo, Holger“, flüsterte ein dünnes Stimmchen.
    „Ja, hallo“, sagte ich, „wer ist da?“
    „Hast du meine Postkarte erhalten?“
    Anja fummelte an meiner Brust, ich stieß sie weg.
    „Armin?“ fragte ich.
    „Hast du?“ fragte er zurück.
    „Äh, ja, die habe ich erhalten“, antwortete ich endlich.
    Stille. Für kurze Zeit vernahm ich nur das Rauschen im Hörer.
    „Und warum meldest du dich nicht, Holger? Warum hast du mich im Stich gelassen?“ Auch wenn das Zittern aus seiner Stimme nicht gewichen war, Armin klang unerbittlich. Wie jemand, der genau weiß, dass er das Gerichtsverfahren gewinnen wird.
    „Ich habe dich nicht im Stich gelassen. Ich habe dir gestern schon erklärt, dass ich keine Kraft für dich habe“, antwortete ich, „Du hast zu viel verlangt. Viel zu viel.“
    „Mit wem redest du da?“ fragte Anja in einen Satz, den Armin sprach: „Ich verlange nur, dass du dich kümmerst.“ Dann legte er auf und ich lauschte dem Besetztzeichen.
    „Wer war das?“ fragte Anja.
    „Armin.“
    „Der dir die Postkarte geschickt hat?“
    „Beide.“
    „Er hat dir zwei geschickt?“
    „Obwohl er gestern starb“, sagte ich und erzählte nun alles, nachdem mich Anja mehrere Sekunden unverständlich angeschaut hatte. Wie sollte ich Schuldgefühle bekommen, wenn Armin noch lebte? Aber wie konnte das sein, zum Teufel? Hatte er seinen Fenstersturz nur inszeniert? Welche logische Erklärung gab es dafür? Ich sollte mich kümmern, hatte er gesagt. Um ihn? Typisch Vampir. Gib her, gib her, deine Kraft, die mich erschafft und dich dahin rafft. Nein, ich entschied, egal, was Anja sagte, Armin zu ignorieren. Auf dieses Spiel hatte ich keine Lust. Er lebte noch. Was wollte ich mehr? Ende der Sorgen.
    Es war kurz nach Mitternacht, als mein Telefon erneut klingelte. Nun, es hätte auch meine Mutter sein können, die von einem Notfall in der Familie berichten musste, darum hob ich ab.
    „Hallo, Holger“, flüsterte Armin.
    „Was, zum Teufel, willst du?!“ schrie ich.
    Anja öffnete ihre Augen. Sie hatte schon geschlafen und dabei geschnurrt wie eine Katze.
    „Wer ist das?“ fragte sie und ich wusste, dass sie wusste, dass Armin angerufen hatte. „Wenn das Armin ist, dann gib mir mal den Hörer!“ Ihr rechter Arm schnellte vor, doch ich sprang auf, lief in meiner Wohnung umher und rief:
    „Hör mal, Armin. Ich weiß nicht, was die Scheiße soll, die du da abziehst, aber ich sag dir eins: Ich mach bei deinem Spielchen nicht mit. Wer von uns ist das Arschloch, häh? Ich lass dich wenigstens in Ruhe. Aber du, mein Lieber, lässt mich nicht in Ruhe. Ich sag’s dir jetzt mal ganz ehrlich, Mann: Du raubst einem die letzte Energie. Du bist wie ein Vampir. Und das kann ich nicht gebrauchen, verstehst du? Nicht in meinem Freundeskreis. Jeder hat seine Probleme, das ist nun mal so, aber du versuchst immer alles so darzustellen, dass nur du, und niemand anderes, Probleme hat. Und das stimmt einfach nicht, Mann. Ich habe mein eigenes Leben. Such dir ein anderes.“
    Anja hatte angefangen laut zu lachen und ich trat ihr gegen das Schienbein. Vielleicht zu hart, auf jeden Fall ein Fehler. Ich hatte den Monolog ernst gemeint. Aber man könnte auch denken: Was für ein Arschloch bist du eigentlich? Dass du so etwas sagen kannst.
    „Warte mal“, rief ich in den Hörer und warf ihn auf
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