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Schattengeschichten

Schattengeschichten

Titel: Schattengeschichten
Autoren: Hauke Rouven
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meinen Sessel. Dann stürzte ich zu Anja, die ihre Unterwäsche unter meinem Bett suchte. Ich berührte sie leicht an der Schulter und sagte: „Es tut mir leid, Honey. Das wollte ich nicht. Du hast mich verarscht, weißt du? Das, was ich eben gesagt habe, meinte ich aber ernst. Das sagte ich nicht nur, um Armin loszuwerden. Ich bin halt so.“
    Ich inhalierte ihren Schweiß. Sie kennen das sicherlich: Viele Menschen riechen, wenn sie schwitzen, unangenehm, und es gibt nur wenige, deren Schweiß gut riecht. Anja gehörte zu den wenigen.
    „Okay“, sagte sie, „okay.“
    Dann drehte sie sich um und ich küsste sie. Auf die Stirn. Ich hatte noch ein Telefongespräch zu beenden. Ich sagte, dass es nicht lange dauern würde und ob sie nicht bleiben könnte, bis ich fertig war.
    „Hallo, Armin?“ fragte ich in den Hörer, als ich ihn wieder an meinem Ohr hatte. Eigentlich hatte ich erwartet, dass er schon aufgelegt hatte. Stattdessen vernahm ich ein geschluchztes „Ja, ich bin noch dran.“
    „Wieso bist du noch dran?“
    „Weil du es mitkriegen sollst.“
    „Was?“ fragte ich.
    „Wie ich mich umbringe.“
    „Oh, komm schon. Das hatten wir gestern.“
    Ein langer Schluchzer drang aus dem Hörer. Ich blickte zu Anja, die erwartungsvoll unter meine Bettdecke geschlüpft war. Ihr Körper schmiegte sich an den Bezug.
    Schließlich hörte ich wieder dieses wimmernde Flüstern: „Ich weiß nicht, wovon du da redest, aber ich habe insgesamt vier Dutzend Tabletten geschmissen. Und die werden mich töten. Das habe ich nachgelesen. Es wirkt, Holger, es wirkt.“
    Als Anja meinen nachdenklichen Gesichtsausdruck gedeutet hatte, sprang sie vom Bett, riss mir den Hörer aus der Hand und legte auf.
    „So, das war´s jetzt mit Armin. Kümmere dich endlich um mich, Holger. Das kann doch nicht sein, dass du dir von so einem Psycho die Laune verderben lässt.“
    Sie hatte Recht, trotzdem dachte ich an den Sturz und Armins durchbohrten Körper. Nun wollte er sich zusätzlich mit einer Überdosis Tabletten in den ewigen Schlaf schicken. Sollte ich das glauben? Oder, anders gefragt: Was hätten Sie an meiner Stelle unternommen? Den Notarzt gerufen? Die Polizei? Oder die Männer in den weißen Kitteln? Ich entschied mich für das erste, gab einen falschen Namen an und nannte Armins Adresse.
    „Er wohnt im zweiten Stock“, sagte ich, „Wahrscheinlich wird er ihnen nicht aufmachen können. Die Tabletten wirken schon. Er meint es ernst.“
    Ich atmete tief ein und wieder aus, nachdem ich aufgelegt hatte. Dann steckte ich mir eine Zigarette in den Mund und zündete sie an. Das Gift beruhigte mich. Ich suchte nach der zweiten Postkarte, um sie zu vernichten, aber auch dieses Mal fand ich sie nicht mehr. In mir dämmerte eine unwirkliche, surreale Wahrheit.
    „Kommst du jetzt ins Bett?“ fragte Anja. Nichts auf der Welt tat ich lieber, nachts um zwei.
    Der nächste Morgen war herrlich, auch wenn mich der gleiche Traum verfolgt hatte. Strahlendes Weiß drang in meine Wohnung. Hamburg mutete an wie eine Skifahrerstadt. Unter dem Schnee schimmerten nur gelegentlich die wirklichen Farben durch. Es war Zeit zum Rodeln. Anja und ich hatten uns vor wenigen Tagen einen Schlitten gekauft, der nun getestet werden sollte. Wir frühstückten, duschten, führten uns auf wie ein Pärchen, dass ein morgendliches Ritual zelebrierte. Als der Postbote Einlass verlangte, stürzte ich, wie die Tage zuvor, die Treppen hinunter. Er begrüßte mich doch tatsächlich mit einem Lächeln.
    „Was für Bauer?“ fragte er.
    Ich lächelte zurück und antwortete: „Natürlich.“
    Er hatte ein Päckchen in der Hand, das er mir reichte. ,The stars at noon’, dachte ich triumphierend. Endlich.
    „Danke“, sagte ich und drehte mich um, war schon auf den ersten Stufen der Treppe, als der Postbote mir hinterher rief.
    „Da ist noch was für Sie.“
    Zögernd drehte ich mich um. Der Postbote hatte einen Arm ausgestreckt, in seiner Hand thronte eine Postkarte.
    „Danke“, sagte ich, „Schmeißen Sie sie bitte weg, ja?“
    Das Lächeln verschwand. Aber er nickte. „Wenn Sie das wollen“, sagte er. „Ja, das möchte ich.“ Wieder in der Wohnung setzte ich mich zu meiner Freundin, legte einen Arm um sie und versank in ihren Atemzügen. Küsse.
    Happy End...
    Aber wenn die Postkarte ein drittes Mal kam, dann sollte auch der Anruf folgen. Wieder nachts. Nachdem ich abgehoben hatte, vernahm ich Armins Flüstern und legte auf. Die nächsten Wochen war das nicht
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