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Schattengeschichten

Schattengeschichten

Titel: Schattengeschichten
Autoren: Hauke Rouven
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Filmfotodosenopfer und ihre Augen , Fortbildung in Verschiedene Schwärzen: Wirkungsweisen und Behandlung .
    „Nein, bin noch nicht fertig!“, rief er zurück.
    „Okay, sag´ mir Bescheid. Es ist wichtig.“
    Jedenfalls war die Frage geklärt, wohin der Fotofilm und Gerrits Splitter verschwunden waren. Er musste auch vorhin an dem Boden gekratzt haben, um diesen Unterdruck zu erzeugen. Die Fotodose verschlang!
    Allmählich realisierte Gerrit, dass er nur noch mit einem Auge zu sehen vermochte. Blut floss keines mehr, es war auf seiner Haut schnell getrocknet. Sein Gehirn verkrampfte sich, ein starker Druck, der Migräne ähnelte. Gerrit übergab sich in einen Behälter voll Flüssigkeit.
    Er kotzte mehrmals, ehe er sich auf den Boden kauerte, die Knie an seine Brust gezogen. Zu seinen Kopfschmerzen hatte sich ein Schwindelgefühl gesellt. Weit entfernt, noch weiter als die Tatsachen, denen er ins Auge blicken musste, vernahm er ein Klopfen.
    „Gerrit, was ist denn!?“, rief Herbert, „Hier ist ein Kunde, der auf dich wartet. Er will seinen Film zurück.“
    Gerrit antwortete nicht und das Klopfen dauerte an.
    „Hey! Verdammt, warum machst du nicht auf?!“
    Eine zweite Stimme gesellte sich dazu, tiefer, bestimmter.
    „Lassen sie mich mal, Herr Knaup.“
    „Sie dürfen hier nicht...“ Herberts Stimme erstarb.
    „Hören Sie, Gerrit! Ich weiß, dass Sie es gefunden haben. Und wahrscheinlich wissen Sie mittlerweile auch, wie man es benutzt. Ich brauchte auch nicht lange um dahinter zu kommen. Und es gehört mir, Gerrit! Verstehen Sie? Das Echo des Fegefeuers gehört mir!“
    So hieß die Dose also. Gerrit stützte sich mit einer Hand am Rand der Arbeitsfläche hoch und schwankte zur Tür.
    „Ich habe es fälschlicherweise abgegeben“, sagte die Stimme, „Vertauscht. So was passiert mal, also geben Sie es mir zurück. Bitte.“
    „Was haben Sie mit Herbert gemacht?“, fragte Gerrit, „Wieso sagt er nichts mehr?“ Keine Antwort. Eine Weile starrte Gerrit in die Dunkelheit vor ihm. Die Schmerzen im Kopf kamen und gingen, wie es ihnen passte. Das rote Licht brannte nun in seinem verbliebenen Auge. „Was haben Sie mit ihm gemacht?!“ Eigentlich wollte Gerrit schreien, aber seine Stimme krächzte durch den Raum wie ein abgewürgter Motor. Er war sich nicht sicher, ob der Mann sie wirklich hörte.
    „Er ist bewusstlos“, antwortete die Stimme, „Nur bewusstlos. Er muss doch nicht wissen, was wir beide wissen, oder?“
    „Ich habe mein Auge verloren“, sagte Gerrit, „Ich will mein Auge zurück!“
    „Das werden Sie. Aber dafür müssen Sie die Tür aufmachen und mir die Dose geben. Dann kann ich Ihnen helfen.“
    „Warum sollte ich Ihnen vertrauen?“
    Wieder keine Antwort. Warum ließ sich der Mann so viel Zeit? Gerrit fühlte sich wie ein Verrückter, der mit Wänden sprach.
    „Weil Sie keine andere Wahl haben, Gerrit“, vernahm er schließlich. Oh doch, natürlich habe ich eine Wahl, dachte Gerrit, hob die Dose vom Boden, in ruhigen, langsamen Bewegungen, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren, dann richtete er die Öffnung auf die Tür und kratzte am Dosenboden.
    „Okay, ich öffne jetzt.“
    Das Schnurren erhallte, warm, geborgen.
    „Was machen Sie, Gerrit? Benutzen Sie doch den Schlüssel!“
    Im roten, dunklen Licht drückte sich die schwere Holztür aus ihrer Schwärze in den Raum zu Gerrit. Das Echo des Fegefeuers saugte mit unnatürlicher Kraft an allem, was vor seinem Maul war. Schließlich knackte die Tür, presste sich wie ein riesiger Bogen Pappe zusammen und mit einem lauten Knall wurde sie aus ihren Angeln gehoben. Augenblicklich landete sie Splitter für Splitter in der Fotodose. Fasziniert betrachtete Gerrit das Schauspiel. Welch eine Macht, dachte er.
    Durch den offenen Türrahmen drang nun Tageslicht in die kleine Dunkelkammer. Der Mann, der zur Stimme gehörte, älter und untersetzt, kam damit zum Vorschein und schrie auf, als das Echo an ihm zog. Er krallte sich an den rechten Türpfosten. Seine Kleidung, seine verbliebenen Haare, die Haut im Gesicht zog sich länger und länger.
    „Stellen... Sie... es... ab...“, ächzte er.
    Herbert lag zu seinen Füssen und wurde ebenfalls vom Zerren ergriffen. Sein bewusstloser Körper hob sich kaum wahrnehmbar in die Luft. Alles, was sich im Radius des Echos befand, begann zu zittern wie das Bild, was eine falsch eingelegte Spule im Kinosaal projizierte. Unwirklich.
    „Scheiße“, fluchte Gerrit, senkte die Dose und stoppte das
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