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Schattenfluegel

Schattenfluegel

Titel: Schattenfluegel
Autoren: Kathrin Lange
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Fliesen. Wie von Furien gehetzt, durchquerte sie ihn. Dann setzte sie mit einem Sprung über die schief in den Angeln hängende Terrassentür und war draußen. Inzwischen war es dunkel. Ein blasser Mond hing im Geäst der Bäume und warf einen unwirklich silbrigen Schatten auf die Szenerie. Die Terrasse überquerte Kim mit wenigen langen Schritten, die Stufen an ihrem Ende sprang sie mit einem einzigen Satz hinunter. Im nächsten Moment war sie im Unterholz. Sie stolperte über eine Wurzel. Ranken verfingen sich in ihren Klamotten, ihren Haaren. Sie verlor das Gleichgewicht. Fiel hin. Hart kam sie auf dem unebenen Waldboden auf und schwer atmend blieb sie liegen.
    Sigurd war auf der Treppe dicht hinter ihr gewesen. Wo war er jetzt? Das Mondlicht ließ die Umgebung wie ein Schattentheater aussehen. Vorsichtig hob Kim den Kopf. War da eine Bewegung gewesen? Ganz am Rand der Terrasse?
    Sie versuchte, ihren jagenden Atem zu beruhigen. Sie musste genau horchen. So tief wie möglich atmete sie ein, hielt dann den Atem an.
    Sigurds Keuchen war nur wenige Schritte von ihr entfernt. Sie erstarrte.
    »Wo bist du?«, hörte sie ihn zischen. »Los, komm schon, du kleine Schlampe! Zeig dich!«
    Ganz langsam duckte sich Kim noch weiter hinunter. Sie durfte kein Geräusch machen. Panik brachte ihren Unterkiefer zum Zittern und sie steckte die Faust in den Mund, um nicht vor Entsetzen aufzuwimmern. Das da war nicht mehr ihr Sigurd, ihr Ersatzvater. Der Mann, den sie früher liebevoll Paps genannt und der das immer doof gefunden hatte.
    »Kim!« So unerwartet schrie Sigurd ihren Namen, dass sie wie unter einem Peitschenhieb zusammenzuckte. Schon glaubte sie, entdeckt worden zu sein, aber dann begriff sie, dass er nur versuchte, sie aus der Reserve zu locken. »Komm zu mir!«, sprach er etwas leiser weiter. »Wir können doch über alles reden.«
    Reden? Kim biss sich auf die Fingerknöchel, um nicht hysterisch aufzulachen. Reden? Du bist noch verrückter, als ich gedacht habe!
    Eine Weile schwieg Sigurd. Dann seufzte er abgrundtief auf. Es klang wie das nachsichtige Seufzen eines Vaters, dessen Kind seine Geduld zu sehr strapaziert hatte. Kim hörte, wie er sein Messer zuklappte und dann wieder aufschnappen ließ.
    »Gut«, sagte er grimmig. »Wenn du nicht hören willst, musst du fühlen. Mal sehen, was Lukas gerade so macht!« Mit diesen Worten wandte er sich um und ging zurück zum Haus.
    Kim hob den Kopf. Sie hatte Erde an Händen und Knien kleben, aber sie achtete nicht darauf. Alles, was sie denken konnte, war: Lukas!
    Was, wenn Sigurd ihm etwas antat?
    Er lag bewusstlos in dem Kellerraum, weil Kim ihn niedergeschlagen hatte. Was sollte – was konnte sie tun?
    Durch den Wald bis in die Stadt zu laufen, würde viel zu lange dauern. Sie musste sich etwas anderes einfallen lassen. Hilfe rufen? Ihre Hand langte nach dem Handy in ihrer Hosentasche, doch als sie es herauszog, merkte sie trotz der Dunkelheit sofort, dass das Gerät ihr nichts nützen würde. Es war viel zu leicht. Sie hatte den Akku herausgenommen und in Ninas Handy getan.
    Ninas Handy! Als Sigurd sie bewusstlos geschlagen hatte, war es in der Küche unter die Anrichte gerutscht.
    Kims Gedanken rasten.
    Sie kannte die Macken ihres alten Akkus recht gut. Manchmal, wenn sich das Handy ausschaltete, weil er leer war, regenerierte er sich nach einer Weile wieder ein wenig. Vielleicht hatte er auch diesmal noch gerade genügend Saft, um einen Notruf abzusetzen. Es war ihre einzige Chance!
    So schnell und so leise, wie sie konnte, rannte Kim zurück zu dem leer stehenden Gebäude. Der Saal hinter der Eingangstür lag verlassen vor ihr. Sie lauschte, aber konnte keine Geräusche vernehmen, die ihr verrieten, was Sigurd gerade tat.
    Lukas!, flehte sie zum wiederholten Male. Wach auf!
    Dann huschte sie geduckt in die Küche, kniete sich vor der Anrichte nieder und tastete den Boden darunter ab. Staubflusen gerieten ihr zwischen die Finger und kleine Kügelchen, Mäusekot vermutlich. Sie achtete nicht darauf. Sie musste sich strecken, um bis an die hintere Wand zu reichen. Ihre Fingerspitzen tasteten über die schmutzige Fußleiste und dann stießen sie gegen etwas Hartes.
    Sie packte den Gegenstand und zog ihn hervor. Es war tatsächlich Ninas Handy. Sie setzte sich auf und schaltete gleichzeitig das Gerät an. Das Display leuchtete auf, warf einen fahlen Schein auf die schmutzigen Küchenfliesen. Ein freudiges Zittern lief durch Kims Körper, da erlosch das Display auch
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