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Schattenfluegel

Schattenfluegel

Titel: Schattenfluegel
Autoren: Kathrin Lange
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erzählen, was die Verhöre von Sigurd ergeben hatten und wie es nun mit ihm weitergehen würde.
    Kim führte Frau Keller in die Küche, wo Johanna schon am gedeckten Kaffeetisch saß und an einem Butterkeks knabberte. Das lädierte Bein in seinem furchterregenden Metallgestell hatte sie auf einem niedrigen Hocker abgelegt. »Hallo«, grüßte sie die Kommissarin. »Setzen Sie sich doch. Kaffee?«
    »Ja, bitte. Einen Latte macchiato, wenn es nicht zu viel Mühe macht.«
    Johanna sah Kim an. »Bist du so lieb?« Zwei Tage waren vergangen, seitdem Sigurd verhaftet worden war, und noch immer war in ihrem Blick Dankbarkeit zu lesen, Dankbarkeit dafür, dass Kim am Leben war.
    Während Kim sich daran machte, den Kaffee herzustellen, begann die Kommissarin zu berichten.
    »Es war tatsächlich so, wie Herr Steinhauer dir erzählt hat, Kim. Er hat zwei gültige Pässe gehabt und ist zwischenzeitlich mit einem davon wieder eingereist. Aus diesem Grund sind wir ihm nie auf die Spur gekommen und haben ihn gar nicht erst verdächtigt. Er hatte ja ein plausibles Alibi.«
    Kim stellte das Milchkännchen unter den Aufschäumer. »Es schien so, als würde er sich darüber maßlos ärgern«, sagte sie. »Im Keller hat er davon gefaselt, dass Sie Ihre Arbeit nicht gründlich genug gemacht haben.«
    »Er ist schizophren«, gab Frau Keller zurück. Sie wirkte nicht beleidigt wegen des Vorwurfs, schlampig gearbeitet zu haben. »Seine Gedanken sind nicht immer rational. In Wahrheit hat er uns sein Alibi sehr empört vor Augen gehalten, als wir ihn um eine Speichelprobe bitten wollten. Es kann keine Rede davon sein, dass wir fehlerhaft gearbeitet haben.«
    Johanna rückte ihr Bein bequemer zurecht. »Niemand macht Ihnen einen Vorwurf.« Sie schauderte. »Wir hatten keine Ahnung von Sigurds Schizophrenie!«
    Die Kaffeemaschine füllte das Glas halb mit aufgeschäumter Milch und begann dann, den Kaffee zu mahlen. Frau Keller wartete ab, bis der Lärm verklungen war, der dabei entstand. Dann erst sprach sie weiter: »Die Psychologen vermuten, dass die Schizophrenie durch die Drogenzeremonien bei den Navajo ausgelöst worden ist. Wahrscheinlich war die Veranlagung dazu bei Sigurd schon vorher latent vorhanden, aber erst durch die Drogen brach die Krankheit dann ganz aus. Es ist allerdings sehr ungewöhnlich, dass die Umwelt in solchen Fällen nichts von der Gespaltenheit solcher Menschen mitbekommt.« Die Maschine war fertig. Kim holte einen Löffel aus der Besteckschublade und brachte den Kaffee an den Tisch.
    »Danke!«, sagte Frau Keller. »Selbst die Psychologen waren überrascht, wie gut Sigurd seine anderen Persönlichkeiten verbergen kann.«
    »Gibt es denn noch mehrere?«, fragte Johanna. Sie hatte einen weiteren Keks in die Hand genommen, aber sie aß ihn nicht, sondern legte ihn unbeachtet wieder auf dem Teller ab.
    »Die Ärzte gehen davon aus, aber bisher haben sie noch keine entdeckt.« Frau Keller blies auf den heißen Schaum ihres Getränks und nahm dann einen Schluck. »Ich glaube, ich leiste mir vom nächsten Gehalt auch so eine Maschine«, seufzte sie.
    »Verschiedene Persönlichkeiten in einem Kopf!« Man sah Johanna an, dass sie sich das nur schwer vorstellen konnte. Und auch Kim, die es ja sozusagen live miterlebt hatte, wie Sigurd von einer Rolle in die andere wechselte, fiel es schwer, das zu begreifen.
    Kim betrachtete ihre Mutter. Sie wusste, wie sehr Johanna litt. Nicht nur, dass die Sache mit Ninas Tod wieder hochgekommen war, auch, dass der Mann, mit dem sie so viele Jahre zusammengelebt hatte, sich als Mörder entpuppt hatte – und vor allem die Tatsache, dass er ihr fast auch noch die zweite Tochter genommen hatte, das alles machte sie fast verrückt. Kim bewunderte sie dafür, wie gut sie es trotzdem vor ihr verbarg. Äußerlich wirkte Johanna ruhig und stark, und um Kim zu schützen, würde sie auch weiterhin so tun.
    »Durch die Verhöre von Herrn Steinhauer wissen wir inzwischen, dass er damals versucht hat, Nina von ihrem falschen Weg abzubringen. Mehrfach hat er ihr von den Libellen erzählt und von den Legenden, die die Navajo darüber haben. Das, so vermuten wir, ist der Grund, warum Nina das Gedicht irgendwann von Liebeskummer in Schattenflügel umbenannt hat. Sigurd muss ziemlich vehement auf sie eingeredet haben.«
    »Aber sie war zu verliebt in Lukas«, warf Kim ein. »Sie hat sich davon nicht beirren lassen.« Sie konnte es verstehen, dachte sie bei sich. Lukas war wirklich etwas ganz Besonderes. Sie
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