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Schattenfluegel

Schattenfluegel

Titel: Schattenfluegel
Autoren: Kathrin Lange
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und Kim stellte sich vor, was sie dabei dachte. Wahrscheinlich legte sie in ihrer Fantasie ihre Hände um Sigurds Hals, so wie er es bei ihrer Tochter getan hatte.
    »Mein Gott!«, murmelte Johanna, nachdem sie geschluckt hatte. »Wenn ich mir vorstelle, dass ich ihn damit betraut habe, auf dich aufzupassen!«
    »Sie konnten es nicht wissen«, meinte Frau Keller. »Wie gesagt, er hat sehr gut verborgen, was in seinem kranken Kopf vorging.«
    »Trotzdem!« Johanna strich sich die Haare aus der Stirn. »Es tut mir leid, Schätzchen«, sagte sie zu Kim.
    »Gehen Sie zu einem guten Therapeuten«, riet Frau Keller. Sie trank den letzten Schluck Kaffee aus und stand auf.
    »Das werden wir«, sagte Johanna. Sie hatte bereits einen Termin mit Dr. Schinzel vereinbart.
    »Wenn wir Sie noch mal brauchen, um eine Aussage zu machen oder zu unterschreiben, dann melden wir uns.« Frau Keller wandte sich der Tür zu.
    »Danke!«, sagte Johanna.
    »Gern geschehen!«
    Kim wollte aufstehen, um die Kommissarin zur Tür zu begleiten, aber die wehrte ab. »Bemüh dich nicht, ich finde allein raus.« Sie streckte die Hand aus.
    Kim griff zu und schüttelte sie. Sie versuchte sich an einem Lächeln. Es fühlte sich mühsam an, aber es gelang.
    »Geht es?« Kim half ihrer Mutter mit den Krücken, als sie gemeinsam aus dem Fahrstuhl des Krankenhauses stiegen und den langen Gang entlanggingen, der zu Lukas’ Zimmer führte.
    »Klar.« Johanna lächelte ihre Tochter an. »Du siehst nicht so aus, als seist du glücklich, hier zu sein.«
    Kim verzog das Gesicht. War sie immer noch so leicht zu durchschauen? »Ich …«
    »Schon kapiert«, unterbrach Johanna sie. »Du hast Angst vor dem, was gleich geschieht. Ist ja auch verständlich!«
    Es war das erste Mal, dass sie Lukas im Krankenhaus besuchten, und tatsächlich fürchtete Kim sich vor der Begegnung. Wie würde es nun mit ihnen weitergehen, mit Lukas und ihr? Würde Lukas ihr verzeihen können, dass sie ihn für Ninas Mörder gehalten hatte? Immerhin lag er hier, weil sie ihm eine Eisenstange über den Schädel gezogen hatte. Allein bei dem Gedanken daran, wie er sie gleich ansehen würde, wurde ihr ganz flau im Magen. Was, wenn er sie wegschicken würde?
    »Hey!« Johannas Hand legte sich unter Kims Kinn und zwang sie dadurch, ihr in die Augen zu sehen. »Nur Mut! Das wird schon!«
    Kim wünschte sich, sie könne den Optimismus ihrer Mutter teilen. Aber das würde vermutlich auf ewig ein unerfüllter Wunsch bleiben, ebenso wie das Bedürfnis, Nina endlich loslassen zu können. Sie träumte noch immer von ihrer Schwester und dem roten Zug, aber wenigstens die Kabelbinder waren jetzt aus ihren Träumen verschwunden. Dr. Schinzel hatte gesagt, es würde mit der Zeit besser werden, und das war alles, worauf Kim im Moment hoffen konnte.
    Vor dem Krankenzimmer mit der richtigen Nummer blieb Kim stehen.
    Erst zögerte sie, dann klopfte sie an.
    »Herein!«, rief Lukas von drinnen.
    Als sie eintraten, saß er auf der Kante seines Bettes und zog sich gerade ein T-Shirt über. Ganz kurz fiel Kims Blick auf das Wolfstattoo auf seiner Brust, dann verschwand es unter dem schwarzen Stoff.
    Er hob den Kopf und sah Kim an. Ein Strahlen erschien auf seinem Gesicht. »Oh! Hi! Der Arzt hat mir eben gesagt, dass sie mich hier nicht mehr brauchen. Ich darf nach Hause.«
    »Toll!« Etwas befangen blieb Kim mitten im Zimmer stehen.
    Lukas lächelte. »Hallo, Frau Ferber!« Er nickte Johanna zu.
    Die räusperte sich. »Ich glaube, ich gehe mal lieber draußen warten.« Auf ihren Krücken wandte sie sich umständlich um und stakste dann hinaus. Es gab ein leises, schmatzendes Geräusch, als die Tür hinter ihr ins Schloss fiel.
    Kim schluckte.
    Lukas rollte ein Handtuch zusammen und verstaute es in seiner Sporttasche. Die Platzwunde, die bei dem Schlag mit der Eisenstange entstanden war, hatte man unter einem quadratischen weißen Pflaster verborgen.
    »Ich soll dich von Sabrina grüßen«, sagte Kim, nur um irgendwas zu sagen.
    Es stimmte gar nicht. Sie hatte Sabrina gegenüber mit keinem Wort erwähnt, dass sie heute hierherkommen würde. Kim wusste noch nicht, ob es ihr gelingen würde, Sabrina ihre Rolle in dieser ganzen Geschichte zu verzeihen. Im Moment versuchte sie nur, einfach Tag für Tag zu überstehen, genau wie Dr. Schinzel es ihr empfohlen hatte. Und an den meisten davon hörte sie mehr auf ihr Herz als auf ihren Kopf.
    »Gestern war die Klassenkonferenz für Jonas«, erzählte Kim weiter, während
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