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Schattenfluegel

Schattenfluegel

Titel: Schattenfluegel
Autoren: Kathrin Lange
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Kim abzuwarten, setzte er sich zu ihr auf die Bank und schnappte sich ihre Mappe.
    »He!« Kim protestierte lahm.
    »The influence of media on public and personal life«, las er die Überschrift von Kims Text. »Daran erinnere ich mich. Schnarchlangweilig, oder?«
    Kim pustete sich eine Strähne aus dem Gesicht. Eigentlich hätte sie schon längst mal wieder zum Frisör gehen sollen, dachte sie und wunderte sich über sich selbst. Sonst machte sie sich eigentlich nie viele Gedanken über ihre Frisur. Sie hatte genug mit den Dingen zu tun, die in ihrem Kopf vorgingen. Warum sie gerade jetzt ans Haareschneiden dachte, war ihr nicht ganz klar. »Geht so«, sagte sie. Jetzt, als der Typ neben ihr saß, konnte sie ihn unbemerkt ein wenig genauer betrachten. Dieser durchdringende Blick, als könnte er tief in sie hineinsehen. Kam das von einem Kajalstrich am unteren Augenlid? Kim war sich nicht sicher. Wenn der Kerl sich wirklich geschminkt hatte, dann hatte er es zumindest sehr geschickt gemacht, denn er wirkte kein bisschen tuckig. Eher das Gegenteil. Ein eigenartiger, faszinierender Geruch ging von ihm aus, etwas, das Kim nicht einordnen konnte, eine Mischung aus Deo und etwas anderem, etwas sehr Männlichem. In seinem Ohrläppchen trug er einen kleinen silbernen Ohrring, dessen Form Kim seltsam vertraut vorkam. Sie sah genauer hin.
    … eine Libelle …
    Vor Schreck zuckte sie zusammen.
    »Was ist?« Der Junge beugte sich vor. Aus seinen grüngrauen Augen sah er Kim besorgt an. »Du bist plötzlich ganz blass!«
    Kim schluckte. Du dumme Kuh, kannst du dich nicht zusammenreißen, schimpfte sie gedanklich mit sich selbst. Der Ohrring hatte in Wirklichkeit gar nicht die Form einer Libelle, sondern war ein kleines silbernes Kreuz. Nur im ersten Moment hatte es so ausgesehen, wie …
    Kim schüttelte sich. Nicht an DAS BÖSE denken!, mahnte sie sich, aber es war natürlich längst zu spät. Der Anblick des Ohrrings – eigentlich eine völlig bedeutungslose Kleinigkeit – hatte es geschafft, sie vollkommen aus dem Konzept zu bringen. Sofort hatten die Gedanken in ihrem Kopf wieder angefangen, Karussell zu fahren. Schnell biss sie sich auf die Lippe. »Nein, schon gut. Ich dachte nur …« Sie brach den Satz ab. Diesem Kerl war sie keinerlei Erklärung schuldig, wieso stotterte sie also hier herum?
    Ihr Herz klopfte so stark, dass sie es an der Innenseite ihrer Rippen spüren konnte.
    Der Blick des Jungen lag schwer auf ihr. »Bist du sicher, dass alles in Ordnung ist?«
    Seine Fürsorglichkeit ging Kim auf die Nerven. Sie schnappte sich die Englischmappe aus seinen Händen und sprang auf. »Ich muss los.«
    Auch er erhob sich. »Natürlich.«
    »Ich hab jetzt Bio im A-Trakt.« Warum erzählte sie ihm das? Sie konnte den Blick nicht von diesen Augen lassen.
    »Okay.«
    Ruckartig wandte sie sich um und wollte schon weggehen, als seine Stimme sie noch einmal innehalten ließ.
    »Hey!«
    Über die Schulter warf sie einen Blick zurück.
    »Wie heißt du eigentlich?«
    »Kim«, antwortete sie.
    Da lächelte er. »Hallo, Kim. Ich bin Lukas.«
    Einer seiner unteren Eckzähne stand ein wenig schief.
    Als sie den Biosaal erreichte, hatte sie Lukas schon fast wieder vergessen. Aber sie wurde schnell wieder an ihn erinnert, weil Sabrina und Marie, zwei ihrer Klassenkameradinnen, auf sie zugeschossen kamen.
    »Was wollte dieser Typ eben von dir?«, fragte Marie neugierig. Offenbar hatte sie Kim mit Lukas zusammen unten in der Halle gesehen.
    Kim verdrehte die Augen. »Nichts!«
    Zweifelnd sahen die beiden sie an. Früher – vor DEM BÖSEN – waren Sabrina und Marie einmal Kims beste Freundinnen gewesen, aber das war lange her. Heute konnte Kim ihr ewiges Gerede, ihre neugierigen Fragen und musternden Blicke manchmal nur schwer ertragen.
    »Du kannst uns nichts vormachen, Süße!«, behauptete Sabrina nun. »Du hast was, das sehe ich dir an! Hat es was mit dem Kerl zu tun?«
    »Lukas«, sagte Kim automatisch.
    Sabrina zog die Augenbrauen zusammen. Sie hatte sehr helle Augenbrauen, die sie mit einem schwarzen Stift nachzog. In ihrem blassen Gesicht und unter den weißblonden Haaren sahen sie aus wie zwei schwarze Balken. »Erzähl!«, verlangte sie und machte Anstalten, sich unterzuhaken.
    Doch Kim entzog sich dem Annäherungsversuch. »Was soll ich erzählen?«
    Sabrina seufzte. »Es wird wirklich Zeit, dass du mal wieder normal wirst, weißt du das? Da baggert dich ein total süßer Typ aus der Zehnten an und du bleibst kalt wie eine
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